So überwinden Sie Höhenangst
Höhenangst sorgt bei vielen Menschen für Pulsrasen, schweißnasse Finger, Zittern oder sogar Panikattacken. So lässt sie sich überwinden.
Pulsrasen, schweißnasse Finger, Zittern, Panikattacken. Es überkommt sie auf Leitern, am Berg oder im gläsernen Fahrstuhl. Jeder Fünfte leidet, wenn er sich in der Höhe aufhält. Höhenangst lässt sich aber auch überwinden. Darüber sprachen wir mit Dr. Jörg Angenendt, Leitender Psychologe der Psychotraumatologischen Ambulanz der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg.
Was Höhenangst anrichten kann
Was die Höhenangst mit einem Körper anstellen kann, hat schon der Gelbe Kaiser Huangdi im dritten Jahrtausend v. Christus beschrieben: Immer, wenn er auf die Plattform des Wachturms kletterte, fühlte er sich verwirrt und musste sich hinknien. Alles um ihn herum begann sich zu drehen, die Muskeln gaben nach. So steht es in seinem Buch „Huangdi Neijing“ geschrieben, einem der ältesten Standardwerke der chinesischen Medizin. Zur Begründung führte er an, die Lebensenergie Qi kühle in der Höhe ab und mache die Augen schwummerig. Die Winde, die oben in den Nacken eindringen, würden dieses Problem noch verschlimmern. Auch Goethe litt übrigens unter Höhenangst.
Beliebtes Problem im Thriller-Genre
Die meisten Menschen fühlen sich durch ihre Höhenangst nicht besonders beeinträchtigt. Oft lassen sich entsprechende Situationen vermeiden. Nur selten, etwa in Alfred Hitchcocks Thriller „Vertigo – aus dem Reich der Toten“ führt sie zur Frage um Leben und Tod: James Stewart scheitert daran, der selbstmordgefährdeten Kim Novak das Leben zu retten. Auch in Nicci Frenchs Thriller „Höhenangst“ spielt die Phobie eine böse Rolle. Glücklicher fügen sich die Ereignisse im österreichischen Spielfilm „Höhenangst“ aus dem Jahr 1994. Hier überwindet eine Bergbäuerin ihre Panik, als sie einen Jungen mit Selbstmordabsicht von einem Fabrikturm hilft.
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Höhenschwindel oder Höhenangst?
Den meisten Menschen wird flau, wenn sie etwa in einem gläsernen Fahrstuhl nach oben gleiten, von einem Turm geradewegs nach unten schauen oder am Rand einer Klippe stehen. „Hier sprechen wir von Höhenschwindel, der kann zunächst jeden treffen. Der Schwindel entsteht, weil das Gehirn widersprüchliche Informationen erhält“, sagt Psychologe Dr. Jörg Angenendt.
»„Die panische Angst vor Höhen kann aufgrund eines Traumas entstehen“«
„Die Füße sagen dem Gehirn, sie stünden fest auf dem Boden, während die Augen jedoch ein Problem damit haben, einen fixen Punkt in der Umgebung anzuvisieren.“ Das Problem erledigt sich, wenn Betroffene im schnellen Wechsel geradeaus Richtung Horizont und auf den Boden schauen. Anders verhält es sich bei Akrophobikern. So heißen Menschen in der Fachsprache, die unter Höhenangst leiden. Oft beschleicht sie diese Angst sogar schon von der bloßen Vorstellung von Höhe, etwa wenn sie einen Film übers Bergsteigen oder Fallschirmspringen sehen.
Eine nicht erklärbare Panik in der Höhe
Bei Akrophobikern verschlimmern sich die Symptome sogar: weiche Knie, schweißfeuchte Hände, Herzrasen, ein trockener Mund. Akrophobie ist eine Angststörung. Jeder Mensch hat von Geburt an einen gewissen Respekt vor Höhe. „Die panische Angst vor Höhen kann in Einzelfällen auch aufgrund eines Traumas entstehen“, sagt Psychologe Angenendt. Betroffen könnte ein Dachdecker sein, der einmal von einem Dach gestürzt ist. Auf die meisten Betroffenen trifft dies jedoch nicht zu. Ihre Angst ist irrational. „Sie empfinden in einer Höhensituation eine nicht erklärbare Panik und verknüpfen dann beides miteinander – die Höhe und die unangenehmen Gefühle und körperliche Empfindungen. Psychologen nennen das eine ‚Verknüpfung durch Lernen oder Konditionierung‘.“
Höhenangst per App überwinden
Spontane Linderung verschaffen haltstiftende Maßnahmen, wie sich auf den Boden zu setzen oder ein Geländer zu ergreifen. Gespräche können sich ebenfalls beruhigend auf die Situation auswirken. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Universität Basel haben gezeigt, dass mit einer Virtual Reality-App Höhenangst überwunden werden kann. Nach vier Stunden Training zu Hause kamen höhenängstliche Probanden besser mit der realen Höhensituation zurecht.
Medikamente und Beruhigungsmittel sind zur Therapie einer isolierten Höhenangst nicht zu empfehlen: Sie können die Wahrnehmung trüben und das Reaktionsvermögen beeinträchtigen, so dass sich Betroffene am Ende selbst in Gefahr bringen können. Entspannungstechniken und Atemübungen können hilfreich sein. Auch Ablenkung durch beruhigende Gespräche oder Filme, etwa beim Langstreckenflug, können diese Ängste mindern.
Erlernte Höhenangst verlernen
„Weil Akrophobie in vielen Fällen auf problematischen Lernvorgängen beruht, gibt es auch eine spezifische Verhaltenstherapie für Höhenangst“, sagt der Psychologe Jörg Angenendt. Dafür müsse man aber sicherstellen, dass beim Patienten ein phobischer und kein neurologischer Schwindel vorliege, etwa durch Störungen des Gleichgewichtssinns. Nach Korrektur dieser kritischen Verknüpfung lasse sich Höhenangst also auch wieder verlernen. „Zunächst ergründen wir die Angst und klären den Patienten über deren Bestandteile und Mechanismen auf. Gemeinsam mit dem Therapeuten finden auch gestufte Übungen in realen Höhensituationen statt“, sagt der Experte. „Betroffenen mit schwerer Höhenphobie rate ich jedoch davon ab, unvorbereitet und alleine mit Höhensituationen zu experimentieren.“
Goethe und seine Höhenangst
Durch ständige Konfrontation hat schließlich der unter Depressionen und Höhenangst leidende Goethe sein Problem in den Griff bekommen: Er kurierte sich, indem er etliche Male das Straßburger Münster emporklomm. Auf dem seinerzeit höchsten Kirchturm der Welt angekommen, zwang sich der Dichter nach unten zu schauen. So schrieb er in „Dichtung und Wahrheit“: „Dergleichen Angst und Qual wiederholte ich so oft, bis der Eindruck mir ganz gleichgültig ward. […] Ich habe es auch wirklich darin soweit gebracht, dass nichts dergleichen mich jemals wieder aus der Fassung setzen konnte.“