
Seegras: Nachhaltiger Dämmstoff aus dem Meer
An stürmischen Tagen wird es tonnenweise an den Strand gespült und dann für viel Geld entsorgt: Seegras. Dabei lässt sich der vermeintliche Abfall für den Hausbau nutzen – als natürlicher Dämmstoff.
Schon früher haben Menschen Seegras als Rohstoff verwendet, etwa als Füllmaterial für Matratzen, Polster und Kissen. Auch als traditionelles Material zum Dachdecken ist es in einigen Regionen bekannt. Auf der dänischen Insel Læsø kann man heute noch Häuser mit traditionellen Seegrasdächern besichtigen.

Als nachhaltiger Dämmstoff, ähnlich wie Hanf oder Kork, ist Seegras erst in jüngster Zeit wieder auf dem Markt. Gereinigt und getrocknet, eignen sich die Fasern hervorragend zur Wärmedämmung.
Was ist Seegras und wo kommt es vor?
Seegräser sind Meerespflanzen, die fast überall auf der Welt in flachen Küstengewässern wachsen. Viele Tiere legen hier ihre Eier ab, Jungtiere finden Schutz vor Fressfeinden. Seegraswiesen sind nicht nur wichtige Ökosysteme, sie speichern auch große Mengen CO₂. Zur Verwertung kommen daher nur abgestorbene Seegräser, die als Treibgut an den Strand gespült werden, infrage.

Ökologischer Baustoff: So dämmt Seegras Häuser
Seegras hat eine sehr geringe Wärmeleitfähigkeit und eignet sich daher gut als Dämmstoff. Aber es hat noch weitere Vorteile: Sein hoher Salzgehalt schützt das Material auf natürliche Weise vor Schädlingen und Schimmel. Außerdem hat es gute Schalldämmwerte und ist schwer entflammbar. Eine zusätzliche chemische Behandlung zum Brandschutz ist daher nicht erforderlich. Zudem reguliert Seegras die Feuchtigkeit und schützt im Sommer vor Hitze. Diese Eigenschaften machen Seegras zum perfekten Dämmstoff für ein gesundes Raumklima!

Auch in der Ökobilanz kann Seegras punkten. Die abgestorbenen Pflanzen landen quasi von selbst an den Stränden, lassen sich ohne großen Aufwand verarbeiten und sind kompostierbar. Wird ein Haus mit Seegrasdämmung abgerissen, kann das Material mit der Gartenerde vermischt werden. Das ist auch der große Unterschied zu herkömmlichen mineralisch-synthetischen Dämmstoffen wie Stein- oder Glaswolle, die energieaufwändig in der Herstellung und schwer zu recyceln sind.
Herstellung: So wird aus der Pflanze ein natürlicher Dämmstoff
Wenn Seegrashalme absterben, werden sie von der Strömung an Land gespült. Dort werden sie eingesammelt, gereinigt und im Freien getrocknet. Das dauert mehrere Wochen. Sobald die Halme trocken sind, werden sie mechanisch zerkleinert, bis sie die gewünschte grobe Faserstruktur für Dämmstoffe haben. Als runde Ballen oder in Transportsäcke gepresst werden sie an die Baustellen geliefert.

Ernte am Strandufer
Trotz seiner vielen Vorteile gibt es noch nicht viele Händler für den nachhaltigen Dämmstoff. Einer der wenigen ist die Firma NeptuGmbH. Sie vertreibt die Fasern der sogenannten „Neptunbälle“ als Dämmstoff. So werden die abgestorbenen Reste von Seegras aus dem Mittelmeer genannt. Die Wellen formen die Blattreste zu Kugeln, die dann an die Küsten gespült werden. Die Idee, die Neptunbälle als Dämmstoff zu nutzen, kam den Gründern bei einem Strandurlaub. Sie ließen die Fasern testen und als nachhaltigen Dämmstoff zertifizieren.

Seit 2012 handeln auch Jörn Hartje und Swantje Streich mit Seegras aus der Ostsee als ökologisches Dämm- und Polstermaterial. Für ihre Firma Seegrashandel beziehen sie ihr Material von dänischen Ostseeinseln. Dort ist die Ernte von Seegras erlaubt. Die dänischen Landwirte fischen die Pflanzen, die als Treibgut auf dem Meer treiben, direkt aus dem Wasser.
Seegras aus Deutschland: Zu viel Sand und Steine
An deutschen Küsten werden die braun-grünen Halme dagegen bislang teuer entsorgt, weil sie Badegäste stören. Es ist nicht einfach, aus dem vermeintlichen Abfall einen umweltfreundlichen Rohstoff zu machen. Seegras aus der Ostsee wird zwar tonnenweise an die deutschen Küsten gespült, ist dann aber sandig und voller Müll. Die Reinigung ist aufwendig. Derzeit tüfteln einige Start-up-Unternehmen daran, den Naturstoff maschinell aufzubereiten. Wenn sie Erfolg haben, wird das Seegras vielleicht bald zum angesagten Öko-Baustoff.