Nusantara: Indonesiens neue Hauptstadt im Dschungel
Wie geht man damit um, wenn der Fortbestand der eigenen Hauptstadt massiv bedroht ist? In Indonesien wählt die Regierung eine eher ungewöhnliche Strategie: Im Rahmen des Projekts Nusantara wird einfach eine neue Hauptstadt aus dem Boden gestampft.
Jakarta: eine Hauptstadt vor dem Untergang
Es ist fast so, als wolle die Umwelt ein Exempel statuieren, um zu zeigen, dass sie sich nicht alles gefallen lässt: Mit 35 Millionen Einwohnern zählt die Metropolregion Jakartas zu den größten der Welt. Die dichte Besiedlung bringt vielfältige Probleme mit sich, etwa Smog, Müll und ein nahezu undurchdringbares Verkehrschaos. Das größte Problem besteht aber darin, dass schon heute mehr als die Hälfte der indonesischen Hauptstadt unter dem Meeresspiegel liegt. Jakarta geht unter – im wahrsten Sinne des Wortes.
Bereits im Jahr 2050 könnte Nordjakarta komplett unter Wasser stehen. Dort leben immerhin knapp 2 Millionen Menschen. Alle bisherigen Versuche die Katastrophe abzuwenden, sind mehr oder weniger gescheitert, so zum Beispiel eine gigantische Mauer im Meer vor der Stadt. Nun greift die Regierung um Präsident Joko Widodo zu einem drastischen Mittel: Sie plant einen Umzug der indonesischen Hauptstadt in den Dschungel Borneos.
Parlament genehmigt den Umzug der Hauptstadt
Seit 2022 ist der Umzug des indonesischen Regierungssitzes beschlossene Sache. Nusantara soll die neue Hauptstadt heißen. Das Wort aus dem alt-javanischen wird heute als Synonym für Archipel genutzt und wurde vom Präsidenten aus über 80 Vorschlägen ausgewählt. Als Standort verständigte man sich auf eine 2.561 Quadratmeter große Fläche – das entspricht in etwa der Größe des Saarlands – in der Provinz Ostkalimantan auf der Insel Borneo. Bereits im Jahr 2024 sollen erste Behörden umziehen. Bis 2045 ist die Fertigstellung der Planstadt angedacht.
Nusantara: die nachhaltigste Stadt der Welt?
Aus Fehlern sollte man bekanntlich lernen. Genau das strebt die indonesische Regierung an. Einer der größten Vorteile des Standorts auf Borneo besteht darin, dass die Gegend relativ gut vor Umweltkatastrophen geschützt ist. Die Verantwortlichen sind ohne Frage darauf bedacht, eventuelle Trigger für das Jakarta-Trauma zu vermeiden.
Auch was den Klimaschutz angeht, will man Fortschritte machen – und zwar gewaltige. Nusantara soll eine der nachhaltigsten Städte der Welt werden. Das heißt: Selamat tinggal Betonwüste, hai grüne Stadt! Für 75 Prozent des Stadtgebiets sind Grünflächen geplant. Außerdem besteht die Absicht, bei der Energieversorgung zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien zu setzen – ein ambitioniertes Ziel, wenn man bedenkt, dass die Nutzung von Wasserkraft, Solarenergie und Co. in der Region zum jetzigen Zeitpunkt noch gegen Null geht.
Das bedeutet im Übrigen auch, dass auf den Straßen Nusantaras höchstens elektrobetriebene Fahrzeuge, keinesfalls aber Verbrennungsmotoren unterwegs sein werden. Dafür sehen die Planungen eine fußgänger- und fahrradfreundliche Infrastruktur vor. Wichtige Anlaufstellen sollen trotzdem immer höchstens zehn Minuten entfernt sein. Die Idee einer „Zehnminutenstadt“, in der Arbeitsplatz, Schule, Arztpraxis oder Supermarkt von überall aus in kürzester Zeit erreichbar sind, ähnelt dem Konzept der Planstadt „The Line“ in Saudi-Arabien.
Der Bau Nusantaras erntet Kritik
So schön das auch alles klingen mag – ohne Kritik kommt der Plan, eine neue Hauptstadt mitten im Dschungel aus dem Boden zu stampfen, natürlich nicht aus. Schließlich müssen allein für den ersten Bauabschnitt 6.000 Hektar Wald gerodet werden. Nachhaltig ist das erst mal nicht, auch wenn in einer Baumschule perspektivisch 20 Millionen Jungbäume pro Jahr für das Stadtgebiet gezogen werden sollen.
Die Region ist zudem wichtiger Rückzugsort für Orang-Utans und andere Wildtiere. Die Menschenaffen kommen in der Natur ohnehin nur noch auf Borneo und Sumatra vor. Den Gesamtbestand von Borneo-Orang-Utans schätzte der WWF im Jahr 2016 auf 54.000 Tiere. Sie sind vom Aussterben bedroht. Trotz geplanter Korridore und Barrieren trägt das Projekt Nusantara gewiss nicht zum Arterhalt bei. Dabei soll diesem nach dem Weltnaturgipfel in Montreal durch ein UNO-Artenschutzabkommen zukünftig mehr Bedeutung zukommen. Indonesien selbst stimmte indes gegen den finalen Entwurf.
Um eine ausreichende Wasserversorgung für Nusantara zu gewährleisten, wird gerade der Sepaku-Semoi-Staudamm errichtet. Aber auch Staudämme sind nicht unbedingt beliebt bei Umweltschützern, schließlich zerstören sie die Lebensräume von Tieren und Pflanzen. Gerade die Wasserversorgung ist jedoch ein heikles Thema, denn der Mangel in Jakarta führt dazu, dass Grundwasser illegal abgepumpt wird – einer der Hauptgründe für das Absinken der aktuellen Hauptstadt.
Wer löst die Probleme Jakartas?
Dort steht Präsident Joko Widodo voll hinter den Plänen. Nusantara ist für ihn ein Prestigeprojekt, dass er noch vor Ende seiner Amtszeit im Jahr 2024 in die Tat umsetzen möchte. Dass die heutigen Bewohner des geplanten Stadtareals sich um die Landflächen sorgen, die sie teilweise seit Generationen bewirtschaften, scheint daran nichts zu ändern. Auch die Tatsache, dass Nusantara lediglich 2 Millionen Einwohnern Platz bieten soll, spielt wohl keine Rolle. Doch wie geht es mit Jakarta weiter? Eines ist jedenfalls sicher: Der Megastadt bleiben nicht nur 33 Millionen Einwohner in der Metropolregion, sondern auch viele ungelöste Probleme.
