
Nachhaltige Stadtentwicklung: Merwede als autofreies Modellprojekt
Ein autofreies Stadtviertel, das Mobilität, Nachhaltigkeit und Lebensqualität neu definiert: Im niederländischen Utrecht wird die Vision der 10-Minuten-Stadt Wirklichkeit.
Wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Wie klingt sie? Wie bewegt man sich in ihr fort? Diese Fragen beschäftigen Wissenschaftler, Stadtplaner und Architekten weltweit – auch in Utrecht. Die Stadt hat ein Viertel entwickelt, in dem alle wichtigen Einrichtungen innerhalb von 10 Minuten zu Fuß erreichbar sind. Doch wie wird das realisiert?
Ein Stadtviertel ohne Autos
Keine Autos, keine Staus, keine Abgase – was wie eine Utopie klingt, soll in Merwede zur Realität werden. Das Viertel setzt auf Grünflächen, Fahrradwege und Fußgängerzonen, statt auf Straßenverkehr. Radparkplätze ersetzen Autostellplätze: 21.500 Fahrradparkplätze sorgen dafür, dass sich alle Bewohner flexibel und umweltfreundlich bewegen können. Das Ziel ist klar: weniger Verkehrslärm, geringere Luftverschmutzung und eine gesündere Umgebung.

Die Bewohner, die in einem ehemaligen Industriegebiet leben werden, nutzen stattdessen Fahrräder, öffentliche Verkehrsmittel und Sharing-Angebote. Lastenräder und E-Bikes können bequem ausgeliehen werden, während sogenannte Mobilitätspunkte (Hubs) alle Angebote bündeln, um den Alltag effizient und nachhaltig zu gestalten.
Die 10-Minuten-Stadt – so funktioniert sie
Merwede basiert auf dem Konzept der 10-Minuten-Stadt: Schulen, Geschäfte, Parks und Arztpraxen sind fußläufig erreichbar. Das Prinzip deckt sich – abgesehen von den abweichenden fünf Minuten – mit dem der 15-Minuten-Stadt. Dieses Modell fördert nicht nur den Umweltschutz, sondern stärkt auch die soziale Vernetzung. Weniger Zeit im Verkehr bedeutet mehr Zeit für Freizeit, Familie und Nachbarschaft. Orte wie eine Markthalle, ein Kulturzentrum und Cafés bieten zusätzliche Möglichkeiten, Gemeinschaft zu erleben.

Besonderes Augenmerk liegt zudem auf der Verbindung von Wohnen und Arbeiten. Coworking-Spaces und lokale Unternehmen sind so integriert, dass lange Pendelzeiten entfallen.
8 Jahre Bauzeit: Merwede ist ein Großbauprojekt – und teuer
Ein Projekt wie Merwede hat seinen Preis: Rund fünf Milliarden Euro werden für den Bau veranschlagt. Geplant sind Wohnungen für 12.000 Menschen – zu fairen Mietpreisen. 30 Prozent der Wohnungen sind als Sozialwohnungen vorgesehen, um auch einkommensschwächeren Menschen Wohnraum zu bieten.

Die ersten Bewohner ziehen noch in diesem Jahr ein, während die Fertigstellung des gesamten Projekts bis zu acht Jahre dauern soll. Verantwortlich dafür ist der Architekt Marco Broekman, Inhaber des Amsterdamer Büros BURA Urbanism. Das Stadtviertel wird aus mehreren Stadtblöcken bestehen, die verschiedene Gebäudetypen und -höhen kombinieren. Ziel ist ein abwechslungsreiches, einladendes Stadtbild, das den Bewohnern freie Sicht und eine offene Atmosphäre bietet. Man will verhindern, dass sie sich zwischen hohen Gebäudefassaden eingesperrt fühlen. Entlang des Merwede-Kanals entsteht zudem ein großer Park, der durch zwei Brücken verbunden wird, um kurze Wege zu gewährleisten.
Weniger Emissionen durch gigantischen Wärmespeicher
Nachhaltigkeit prägt jede Facette von Merwede. Seine Gebäude entstehen in energieeffizienter Bauweise, Wasser wird recycelt, und alle Dächer sind entweder begrünt oder mit Solarkollektoren ausgestattet. Zudem wird das Stadtviertel über den größten unterirdischen Wärmespeicher der Niederlande verfügen. Dieser nutzt Grundwasser zur Kühlung im Sommer und speichert im Winter durch Sonnenenergie erwärmtes Wasser aus dem Merwede-Kanal, um die Gebäude zu heizen. So wird Merwede nahezu energieneutral.

Merwede: Wo Utopie zur Realität wird
Der Erfolg von Merwede könnte global Maßstäbe setzen. Utrecht zeigt, dass autofreie Städte keine utopische Vision sind, sondern greifbare Realität werden können.
Ein entscheidender Faktor ist dabei die Einbindung der Bewohner in den Planungsprozess. Durch Workshops und Bürgerbeteiligung konnten wichtige Impulse umgesetzt werden, die das Stadtviertel noch lebenswerter machen. Nun bleibt es spannend, die Umsetzung dieser ambitionierten Vision zu verfolgen.