Die Hochhausfassade als Leinwand: Street Art
Wenn Gebäudefassaden als Leinwände verstanden werden, sind die Möglichkeiten, Kunst im urbanen Raum zu platzieren, nahezu grenzenlos. Street Art bringt Farbe in monotone Betonwüsten – mitten in der gesetzlichen Grauzone.
Um Kunst betrachten zu können, muss man in vielen Städten kein Museum betreten. Auch ein aufmerksamer Spaziergang durch die Großstadt kann zur Kunstexpedition werden. Denn Gemälde finden sich an zahlreichen Häuserwänden, mitunter in beachtlicher Größe und Höhe. Der urbane Raum bietet Künstlern einen immensen Freiraum, doch es gibt auch Einschränkungen – zum Beispiel in Form von Gesetzen, die sich der Verbreitung von Street Art in den Weg stellen.
Street Art versus Graffiti
Aber was ist Street Art überhaupt? Und wie unterscheidet sie sich von dem, was man als "Graffiti" bezeichnet? Die facettenreiche Welt der Kunst im urbanen Raum lässt keine einfachen Definitionen zu. Es lässt sich aber sagen, dass Graffiti überwiegend aus Schriftzügen besteht und häufig mit der Markierung urbanen Territoriums oder Selbstrepräsentation verbunden ist.
Street Art dagegen setzt verstärkt auf Bilder und hat eine stärkere inhaltliche Komponente. Street Artists nutzen die Fassaden als Leinwände für Werke, die dazu gedacht sind, gesehen und interpretiert zu werden, oft auch um öffentliches Bewusstsein für bestimmte Themen zu schaffen.
Bunte Proteste: Die politische Kraft der Street Art
Street Art, einst als Vandalismus gebrandmarkt, hat sich längst zu einer treibenden Kraft entwickelt, die gesellschaftliche und politische Themen aufgreift und sichtbar macht. Ihre Wurzeln sind tief in den Subkulturen der 70er und 80er Jahre zu finden, als Straßenkunst in New York nicht nur ein kreativer Selbstausdruck war, sondern auch ein Mittel für diskriminierte Gruppen, auf ihre Interessen aufmerksam zu machen. Seither haben sich die Ansätze diversifiziert und die global vernetzte Welt hat Street Art in eine internationale Bewegung transformiert.
Die Werke der Street Artists sind nicht bloß Dekoration, sondern stellen auch einen Protest gegen politische Systeme und Ungerechtigkeit dar. Zudem reagieren sie auf aktuelle Ereignisse, wie die globale Flüchtlingskrise oder die Auswirkungen der Klimakatastrophe. Ein prominentes Beispiel ist das ikonische Bild des "Mädchens mit dem Ballon” von Banksy – dem wohl bekanntesten Street Art-Künstler weltweit – das als Symbol für Hoffnung, Rebellion und Aktivismus verstanden werden kann.
Zwischen künstlerischer Freiheit und gesetzlichen Grenzen
Kunst im öffentlichen Raum hat ein rebellisches Image. Denn Graffiti an fremdem Eigentum kann als Sachbeschädigung gelten – und mit Bußgeldern und jahrelanger Haft bestraft werden. Deswegen wird das Taggen, Sprayen oder Bemalen nicht selten zum Wettlauf gegen die Zeit. Denn je länger es dauert, ein urbanes Kunstwerk zu kreieren, desto wahrscheinlicher ist es, dabei erwischt zu werden.
Zugleich können Auftragsarbeiten an Fassaden eintönigen Stadtvierteln Leben einhauchen und sie aufwerten. Großflächige Murals erzählen teilweise ganze Geschichten an der Front von Wohngebäuden. Es findet also eine Gratwanderung statt, bei der die Frage "Was ist Kunst, und was ist Vandalismus?" niemals einheitlich beantwortet wird.
Aktuelle Entwicklungen in der Szene
Banksy hat diese Gratwanderung vielleicht perfektioniert. Der britische Künstler schafft es, mit Schablonen innerhalb von kurzer Zeit detailreiche Kunstwerke zu erstellen. Seit den 1990er Jahren hat er sich – trotz Illegalität und Anonymität – einen Namen gemacht. Heute erzielen manche seiner Kunstwerke bei Auktionen mehr als 20 Millionen Euro. Das wiederum führt dazu, dass nicht mehr Banksy von der Polizei gesucht wird, wenn ein neues Kunstwerk von ihm auftaucht, sondern die Menschen strafrechtlich verfolgt werden, die seine Kunst übermalen. Wie etabliert Street Art mittlerweile als Kunstform ist, zeigt sich beispielsweise auch daran, dass es an zahlreichen Orten auf der Welt Museen gibt, die Straßenkunst ausstellen, wie das Urban Nation in Berlin und das STRAAT Museum in Amsterdam.
Während Banksy vor allem London mit seinen Kunstwerken verziert, war in Deutschland lange Zeit das Künstlerduo Herakut aktiv und hat große Murals beispielsweise in Berlin, Frankfurt und Lüneburg kreiert. Seit der Trennung des Duos im Jahr 2020 sind Jasmin Siddiqui und Falk Lehmann jeweils eigenständig aktiv. Siddiqui, alias HERA, ist eine der wenigen Frauen in der Street Art Szene. Sie genießt mittlerweile internationale Bekanntheit und veranstaltet weltweit Workshops, mit denen sie Mädchen und junge Frauen dazu motivieren will, selbst als Street Art-Künstlerinnen durchzustarten.