Psychologin Dr. Renneberg: "Selbst Ronaldo würde sich anders hinstellen"
»Unsere Nächsten« – an wenigen Orten wird diese Redewendung so buchstäblich wie während einer gemeinsamen Aufzugfahrt. Wo stellen wir uns hin? Wie stellen wir uns hin? Und wie stellen wir uns eine angenehme Atmosphäre in einer Aufzugkabine vor? Ein Gespräch mit der Psychologin Dr. Babette Renneberg über die Psychologie des Aufzugs.
Frau Renneberg, offenbaren wir im umgrenzten, kompakten Raum des Aufzugs unser wahres Ich?
Ich würde sagen: im Gegenteil. Die Enge des Raums wird bei fast allen Menschen dazu führen, dass sie sich anders verhalten als »draußen«. Zurückhaltender, weniger authentisch. Die Aufzugfahrt führt eher zu einem ritualisierten Verhalten. Man hat gelernt, wie man sich in einer Aufzugkabine zu verhalten hat. Das ist zunächst ja auch gut so: Man möchte ja auch seine ganz persönlichen Eigenheiten nicht permanent seinen Mitmenschen zumuten.
Wobei es auch Leute gibt, die sich gerade im Aufzug besonders laut unterhalten…
…wirklich?
Ich frage mich dann immer: Ist das ein Reflex, um Angst oder Unbehagen zu überspielen?
Das mag unterschiedliche Motive haben. Es kann sein, dass jemand im Grunde ängstlich ist, aber zum Drama neigt und sich das im Aufzug zeigt. Schließlich kann der immer auch eine Bühne sein. Das natürliche Verhalten sieht anders aus: Wenn Sie sich mit jemandem intensiv unterhalten und dann in einen Aufzug steigen, in dem andere Leute stehen, dann unterbrechen Sie Ihr Gespräch. Ich glaube, selbst wenn man nur mit dem Handy telefoniert, hört man damit auf. Das ist ein gesellschaftlich erlerntes Vehalten, nennen wir es Taktgefühl. Bestimmte Dinge haben in der Öffentlichkeit nichts zu suchen. Sei es, weil es die anderen nichts angeht oder sie schlicht stört.
Das Experiment einer Kognitionswissenschaftlerin zeigte vor Kurzem: Frauen und Männer verhalten sich in einem Aufzug anders.
Klar, auch sonst nehmen die Geschlechter ja unterschiedliche Positionen und Rollenklischees ein. Männer stehen beispielsweise breitbeiniger und in der Regel aufrecht. Denken Sie mal an Cristiano Ronaldo vor einem Freistoß, ungefähr diese Posen meine ich.
Ronaldo im Aufzug, eine nette Vorstellung…
Ich glaube aber, selbst der würde sich in der Aufzugkabine anders hinstellen. So viel zur Wirkung, die dieser Ort auf seine Benutzer hat.
Warum ist die Aufzugfahrt für manche Menschen mit negativen Gefühlen verbunden?
Der Fahrstuhl bietet ein unnatürliches Setting, wir kommen fremden Menschen selten so nah wie dort. Im Alltag hält man gegenüber Fremden mindestens eine Armlänge Abstand, das ist in Aufzügen nicht immer möglich, auch wenn wir es erst einmal intuitiv versuchen. Stellen Sie sich vor, dass ein einzelner Mensch in der Mitte der Aufzugkabine steht und der nächste, der reinkommt, stellt sich dazu in die Mitte. Das macht niemand.
»Eine gemeinsame Fahrstuhlfahrt ist die beste Flirtgelegenheit.«
Kontakte, selbst Blickkontakte werden im Aufzug also eher gemieden?
Ein Blickkontakt auf so engem Raum setzt zwei fremde Menschen automatisch in Beziehung zueinander. Deshalb meiden ihn viele. Garniert man ihn aber mit einem Lächeln, ist er Ausdruck von starkem Interesse am Gegenüber. Eine gemeinsame Fahrstuhlfahrt ist also die beste Flirtgelegenheit, die man sich vorstellen kann.
Man kann sich im Aufzug auch verbrüdern?
Mir fällt da der gläserne Aufzug im Kulturkaufhaus Dussmann in der Berliner Friedrichstraße ein. Einerseits schafft er eine positive, lichtdurchflutete Atmosphäre. Aber er funktioniert auch deshalb so gut, weil ich als Benutzer weiß, dass sich alle Mitfahrer für Bücher, für Musik, also für Kultur interessieren.
Das sorgt für ein Gemeinschaftsgefühl, das oft zu Gesprächen, mindestens aber zu einem freundlichen Blickkontakt führt. Aufzüge in guten Hotels funktionieren ähnlich, auch dort gibt es dieses Verbindende zwischen den Fahrgästen, die schöne Zeit, den luxuriösen Urlaub.
Dennoch: Zumeist üben sich die Fahrgäste im gegenseitigen Ignorieren.
Das gilt vor allem für Aufzüge in öffentlichen Räumen, etwa am Bahnhof. In Hotels ist es wie gesagt schon so, dass man sich kurz zunickt. In den USA würde man etwas sagen. Dort verabschiedet man sich auch, wenn man den Aufzug verlässt, das gehört zu den Umgangsformen. Mit »Have a nice day!« oder etwas in der Art. Das ist in Deutschland nicht üblich. Es wäre komisch, wenn einer Ihnen hier zum Abschied einen »Schönen Tag noch!« wünschen würde. Das wäre ungewöhnlich viel Kontaktaufnahme.
»Der Aufzug ist ein banales Medium geworden.«
Vielleicht wird das irgendwann üblich sein. Anders gefragt: Unterliegt nicht auch der Fahrstuhl gesellschaftlichen Veränderungen? Haben wir ein anderes Verhältnis zu ihm als etwa unsere Eltern?
Eine Generation ist da fast zu wenig. So schnell geht’s ja nicht. Die Evolution solcher gelernter Verhaltensmuster ist eben kein D-Zug. Darüber hinaus kommt es sicher auch darauf an, wo man lebt: In den Großstädten ist der Aufzug gang und gäbe…
Und damit nicht mehr das exklusive urbane Medium, als das er lange auch ein Statussymbol war?
Klares Jein. Der Aufzug ist tatsächlich ein banales Medium geworden, selbst in den Banlieues von Paris haben die Häuser natürlich Aufzüge. Aber es gibt auch den eleganten Fahrstuhl aus Glas, vielleicht sogar an der Außenfassade, der dann wiederum zum Statussymbol taugt. Zudem wird der Aufzug immer wichtiger, je mehr Hochhäuser gebaut werden. Außerdem wird es in unserer älter werdenden Gesellschaft immer mehr Menschen geben, die körperlich nicht in der Lage sind, so viele Treppen zu steigen. Auch in der klassichen Wohnbebauung, selbst im Einfamilienhaus wird er also weiterhin an Bedeutung und Alltäglichkeit gewinnen.
Und irgendwann ist er so alltäglich, dass wir seine Benutzung gar nicht mehr bemerken…
Ein besonderer Ort wird der Aufzug bleiben. Schon aufgrund seiner Einzigartigkeit: ein Raum, der sich bewegt.
Dieser Beitrag ist erschienen im Schindler Magazin "Der Aufzug. Wie er uns bewegt (2015)". Unter www.schindler.com lässt es sich gratis herunterladen - oder auch kostenfrei als Print-Version bestellen.