„Der Aufzug macht etwas sichtbar, was wir normalerweise nicht sehen“
Ein Gespräch mit dem Literatur- und Medienwissenschaftler Nils Jablonski über das Phänomen von Aufzügen im Film.
Aufzüge fallen in aller Regel nicht weiter auf, solange sie nicht ausfallen. Damit teilen sie sich ein Schicksal mit anderen technischen Errungenschaften. Und so blieb es beinahe unentdeckt, dass Aufzüge eine wichtige Rolle in Filmen und Serien spielen, manchmal gar die Hauptrolle. Glücklicherweise ist es Nils Jablonski aufgefallen. Der Literatur- und Medienwissenschaftler an der Fernuniversität Hagen hat im vergangenen Jahr die internationale Tagung „Aufzüge im Film“ veranstaltet, in der es um ‚Aufzugsszenen‘ aus der gesamten Geschichte des Films, von ihren Anfängen bis in die filmische Gegenwart des Kinos, TVs und des Streamings geht. Was macht Aufzüge so faszinierend für Regisseure und Medienschaffende? Und warum machen sie uns Angst? Grund genug, mit Nils Jablonski zu sprechen.
Herr Jablonski, wie kamen Sie dazu, sich mit Aufzügen in Filmen zu beschäftigen?
Wie so vieles im Leben, durch einen Zufall. Man wird plötzlich aufmerksam auf etwas, das schon immer vorhanden ist. Als Kulturwissenschaftler beschäftige ich mich in meiner Arbeit viel mit Filmen und Serien. Dabei ist mir aufgefallen, dass es in einer Serie, die ich sehr schätze, „The Good Wife“, keine Episode gibt, in der nicht auch eine Aufzugsszene zu sehen ist. Das hat dort natürlich mit der Szenerie zu tun. Die Serie spielt in Chicago fast ausschließlich in Hochhäusern. Seitdem habe ich dieses Motiv aber immer wieder wahrgenommen und begonnen mich zu fragen, wieso Aufzüge in so vielen Filmen und Serien eine Rolle spielen und welche. Mein erster Befund war, dass Aufzüge für das moderne urbane Leben stehen und dort immer präsent sind, aber im Hintergrund bleiben. Aber wenn man sich das genauer anschaut, findet man noch viel mehr.
Welche Funktionen erfüllen denn Aufzüge in Filmen?
Das sind vor allem drei. Zum einen kann der Aufzug Initiator von Handlungen sein, indem er Personen zusammenbringt, die sich sonst nie getroffen hätten. Er setzt diese Personen in eine intime räumliche Situation, die wiederum Auslöser für weiteres Handlungsgeschehen sein kann. Auf der anderen Seite wird der Aufzug auch zu einer Bühne. Die Türen öffnen sich wie der Vorhang im Theater und die Vorstellung beginnt. Oft erfüllt der Aufzug auch einen transgenerischen Effekt, indem er Genres vermischt. Beispielsweise das Moment der Ruhe im Actionfilm. Hier wird der Aufzug als Retardierung eingesetzt. Die Aufzugsfahrt lässt die Zeit lang werden und verschafft uns so eine Pause. Man denke nur an die Aufzugsfahrt in „Blues Brothers“. Hier kommt auch das komische Moment einer Aufzugsfahrt zum Tragen.
Oft hat man auch den Eindruck, dass der Aufzug als Symbol eingesetzt wird, wie beispielsweise die Aufzugsfahrt „in die Hölle“ am Ende von „Angel Heart“. Wofür steht denn der Aufzug in Filmen?
Als technische Apparatur erfüllt der Aufzug in erster Linie die simple Funktion des Auf und ab. Daher wird der Aufzug im Film auch gern als Bild für den sozialen Auf- und Abstieg verwendet, beispielsweise in „Das Appartement“ von Billy Wilder. Der Aufzug kann aber auch für die Vereinzelung, das Verlorengehen in der Masse stehen, wie das Bill Murray und Scarlett Johansson in „Lost in Translation“ widerfährt. Hier symbolisiert der Aufzug die extreme Einsamkeit der Protagonisten. Interessant sind auch die innerpsychischen Momente, die Aufzüge symbolisieren können als Fahrten in verschiedene Seelenzustände. Da ist neben „Angel Heart“ auch „Inception“ von Christopher Nolan ein schönes Beispiel.
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Nicht zu vergessen, die zahlreichen Aufzugsszenen im Horrorfilm. Hat der Aufzug etwas Unheimliches an sich?
Das kann man so sagen. Aufzüge können Momente des Unheimlichen erzeugen. Das hat mit unserer Wahrnehmung des Aufzugs zu tun. Normalerweise befinde ich mich entweder in der Kabine und kann nicht nach draußen schauen oder ich stehe vor den Aufzugtüren und kann nicht sehen, was in der Kabine vor sich geht. Wir sehen immer nur das Äußere bzw. Innere und nicht, was dahinterliegt. Das bleibt unserer Vorstellung und unseren Ängsten vorbehalten. So wird der Aufzug anschlussfähig für den Horrorfilm, der genau damit spielt. In diesem Zusammenhang ist der filmische Zugriff auf den Aufzug interessant. Wir sehen immer nur das Äußere, aber der Film kann das Nichtsichtbare sichtbar machen. Hier sehen wir sowohl, was vor den Aufzugtüren als auch was in der Kabine geschieht. Auf diese Weise kann der Horrorfilm bestehende Ängste und Erwartungshaltungen verstärken und hinterlaufen.
Wie in der Aufzugszene von Brian De Palmas „Dressed to Kill“, wo in der Aufzugskabine ein grausamer Mord verübt wird, während sich die auf den Aufzug wartenden Personen über steigende Aktienkurse unterhalten.
Genau. Aber andererseits zeigt der Aufzug da auch sein komisches Potential. Sehen wir mal von der Situationskomik ab, die durch die Begegnung von Menschen im Aufzug entstehen kann, bietet die technische Apparatur an sich auch schon komische Momente. Etwa wenn der Aufzug versagt oder auch übertrieben gut funktioniert. Letzteres kann man insbesondere am Anfang der Filmgeschichte, beim Slapstick-Film, beobachten. Da wird ein Aufzug auch schon mal oben wie eine Rakete aus dem Gebäude geschossen. Das hat dann auch wiederum Potential für das Fantastische, wie wir es aus „Charlie und die Schokoladenfabrik kennen.
Es gibt ja auch Filme, die fast ausschließlich im Aufzug spielen.
Ja, aber nur sehr wenige. „Fahrstuhl zum Schafott“ von Louis Malle ist da hervorzuheben. Hier steckt der Protagonist, der gerade einen Mord begangen hat, in einem Aufzug fest und kann sich kein Alibi besorgen. Der Aufzug ist hier ein Ort mit fragwürdigen Status. Er ist ein Ort des Transits, eigentlich nicht dafür bestimmt, um zu verweilen. Somit ist der Protagonist an einem Ort gefangen, er keiner ist. Er ist in einem Dazwischen steckengeblieben und dadurch gerät dieses Dazwischen für den Zuschauer in den Blick. Hier macht der Film mit dem Aufzug etwas sichtbar, was wir normalerweise nicht sehen.
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Ganz explizit wird das auch in dem Film „Being John Malkovich“ von Spike Jonze, wo sich John Cusack für einen Job bei einer Firma im Stockwerk 7½ eines Bürogebäudes in Manhattan bewirbt. Der Aufzug hält dann auch zwischen zwei Etagen.
Das ist so ähnlich wie das Gleis neundreiviertel bei Harry Potter. Der Aufzug macht etwas sichtbar, was unserer Wahrnehmung verschlossen ist und stellte damit ein Portal zum Fantastischen dar. Ich möchte aber gern noch auf einen anderen Film hinweisen, dessen erste 20 Minuten im Aufzug spielen. Das ist „Speed“. Bevor der Geiselnehmer den Bus kidnappt, droht er damit, eine voll besetzte Aufzugskabine in die Tiefe fallen zu lassen. Hier sind sowohl Aufzug als auch Bus Orte des Transits, die in diesem Dazwischen steckenbleiben, weil die Personen nicht mehr hinauskommen. Die Bewegung wechselt nur von der Vertikalen in die Horizontale.
Haben Sie auch eine Lieblingsaufzugszene?
Ich habe mich intensiver mit dem Slapstick-Film beschäftigt und eine meiner Lieblingsszenen ist aus „The Goat“ von Buster Keaton. Da gibt es eine wilde Verfolgungsjagd in einem Hydraulikaufzug, an dessen Ende der Aufzug aus dem Schacht durch das Dach des Gebäudes schießt. In eine ganz andere Richtung gehen die Aufzugsszenen aus „Drive“ von Nicolas Winding Refn. Hier wird in wenigen Szenen die intensive emotionale Beziehung zwischen den beiden Hauptpersonen gezeichnet, die dann in einer sehr drastisch dargestellten Gewalttat kulminiert. Das ist filmästhetisch faszinierend dargestellt und der Aufzug spielt hier im wahrsten Sinn eine wichtige Rolle.
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Nutzen Regisseure und Produzenten nicht auch gerne Aufzüge in ihren Filmen oder Serien, weil sie eine günstige Kulisse bieten?
Das glaube ich eher weniger, denn Filmequipment und Ausleuchtung brauchen viel Platz und können in den wenigsten Fällen in real existierenden Kabinen verwendet werden. Aus diesem Grund werden Aufzüge oft im Studio nachgebaut. Ich vermute daher eher, dass Aufzüge gern in Filmen eingesetzt werden, weil sie dramaturgisch „günstig“ und nicht ökonomisch „günstig“ sind.