Neue Hauptstadt Ägyptens: Großbaustelle in der Wüste
Die 20-Millionen-Einwohner-Stadt Kairo platzt aus allen Nähten. Eine vermeintliche Lösung des Problems wird derzeit 60 Kilometer weiter östlich aus dem Wüstenboden gestampft. Ein Blick auf die derzeit noch namenlose neue Hauptstadt Ägyptens.
Manchmal wiegen Probleme so schwer, dass man am liebsten noch mal neu starten möchte. Immer öfter geht es dabei um die größten Städte der Welt. Bestes Beispiel dafür ist Nusantara, eine Planstadt im Dschungel Borneos, die Indonesiens neue Hauptstadt werden soll. Die eigentliche Hauptstadt Jakarta droht indes zu versinken – eine bessere Lösung als den Umzug gab es nicht. Ähnliches geschieht gerade in Ägypten, nur ist man dort schon ein ganzes Stück weiter.
Ägyptens Megaprojekt: Die neue Verwaltungshauptstadt
Im Jahr 2015 verkündete Ägyptens Präsident Abdel Fatah El-Sisi quasi aus dem Nichts, dass man den Regierungssitz samt Botschaften und Finanzdistrikt verlegen würde. Als Zielort schwebte ihm dabei aber nicht etwa Alexandria oder Gizeh vor, sondern ein Stück Wüste, 60 Kilometer östlich von Kairo. Dort sollte eine gigantische Stadt mit Kapazitäten für 6,5 Millionen Einwohner entstehen. Ohne dass die Öffentlichkeit zuvor eingeweiht wurde, begannen noch im selben Jahr die Bauarbeiten. Ein Blick in die Gegenwart verrät: Es hat sich tatsächlich einiges getan. Die neue Hauptstadt Ägyptens ist nahezu fertiggestellt. Einwohner hat sie bisher aber kaum.
Kairo kann dem Bevölkerungswachstum nicht standhalten
Dabei war das die ursprüngliche Idee hinter Ägyptens neuer Hauptstadt. Sie soll Wohnraum schaffen. Allein in den letzten 10 Jahren ist das Land um fast 25 Millionen Menschen gewachsen und hat heute über 110 Millionen Einwohner. Diese leben vor allem in den Ballungsgebieten. In der Metropolregion Kairos etwa sind es über 20 Millionen. Die Stadt am Nil ist diesem Bevölkerungsanstieg nicht mehr gewachsen. Manche Viertel kommen schon heute wegen der Menschenmassen regelmäßig zum Erliegen. Irgendwas musste sich die Regierung des nordafrikanischen Staates also einfallen lassen. Und wie das Beispiel Nusantara in Indonesien zeigt: So unkonventionell wie sie auf den ersten Blick scheint, ist die Umsiedlung ganzer Städte heute vielleicht gar nicht mehr.
Ägyptens neues Aushängeschild
Bloß nicht zu klein denken! So oder so ähnlich müssen die Verantwortlichen an die Planung herangegangen sein. Denn die neue Hauptstadt Ägyptens ist eine Stadt der Superlative. Eines davon ist der Iconic Tower, mit 394 Metern Afrikas höchster Wolkenkratzer, ein anderes die al-Fattah-al-Alim-Moschee, in die 17.000 Menschen passen und die damit nicht nur die größte Moschee des Landes, sondern eine der größten Moscheen weltweit ist. Und damit nicht genug: Vor Ort entstehen etliche Museen, noble Restaurants und protzige Einkaufszentren. Dazu 40.000 Hotelzimmer, 2.000 Schulen und 600 Kliniken. 8 Universitäten, eine Bibliothek mit mehr als 5 Millionen Büchern und ein mit Marmor verziertes Opernhaus. Die Liste ließe sich nahezu endlos weiterführen.
In der Wasser-, Strom- und Abfallversorgung der gesamten Stadt soll Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. Ebenso im Verkehr, wodurch Chaos auf den Straßen, wie es in Kairo beispielsweise üblich ist, verhindert werden soll. Hochgeschwindigkeitszüge werden eine direkte Verbindung nach Kairo sowie an die Küste des roten Meers ermöglichen.
Wem das alles noch nicht ambitioniert genug klingt, dürften Ägyptens Bestrebungen umstimmen, im Jahr 2036 als erstes afrikanisches Land die Olympischen Spiele auszutragen. Dafür entsteht als Teil der neuen Hauptstadt ein riesiger Sportkomplex samt Fußballstadion mit Leichtathletikanlage. Nach endgültiger Fertigstellung wird es mit über 93.000 Plätzen das zweitgrößte Stadion des Kontinents sein.
Ägyptens neue Hauptstadt zu teuer
Ein Blick auf die gigantische Baustelle verrät, dass Teile der Stadt bereits fertiggestellt sind. So zum Beispiel das neue Regierungsviertel. Die Ministerien sollen bereits eingezogen sein. Anderenorts laufen die Bauarbeiten weiter auf Hochtouren. Doch selbst dort, wo es schon möglich wäre, leben bisher nur wenige Menschen. Das größte Problem: Kaum jemand in Ägypten kann sich die Wohnungen vor Ort leisten. Umgerechnet 60 Milliarden Euro soll das größtenteils durch Investoren finanzierte Projekt verschlungen haben. Dass der Wohnraum vor Ort nicht gerade günstig ist, ist also kein Wunder.
Aber auch die, die es sich leisten könnten, sind bisher anscheinend wenig begeistert. Verständlich, wenn man bedenkt, dass das Leben in einer Geisterstadt alles andere als attraktiv wirkt. Hinzu kommt, dass die Wenigen, die schon in der neuen Hauptstadt Ägyptens leben, über Schimmelbefall und bröckelnden Putz klagen – keine wirklich guten Vorzeichen. Wann und ob das Projekt Früchte trägt oder ob es gänzlich scheitert, bleibt wohl erst einmal abzuwarten.