Geisterstädte weltweit
Viele Metropolen kämpfen mit Wohnungsmangel. Doch was, wenn einer Stadt die Einwohner davonlaufen? Sieben faszinierende Geisterstädte rund um den Globus.
In Städten herrscht meist Trubel, denn dort kommen viele Menschen zusammen. Doch was, wenn eine Stadt niemand mehr bewohnt? Dann kann es sich zwischen den leeren Gebäudefassaden ganz schön gespenstisch anfühlen. Oder aber es entsteht Raum für Neues, etwa bedrohte Tier- und Pflanzenarten, die sich ihr Reich zurückerobern. Und manchmal gelangen lange vergessene Geisterstädte nach längerer Zeit sogar zu neuem Glanz. Sieben Beispiele für verlassene (oder verlassen geglaubte) Orte auf der Welt.
Sanzhi, Taiwan
Als wäre eine Horde Außerirdischer gelandet und hätte dann fluchtartig das Weite gesucht, so ungefähr sah es in der taiwanischen Ferienanlage Sanzhi bis ins Jahr 2010 aus. Die bunten Ufo-Häuser waren dort Ende der 1970er gebaut worden, schon kurze Zeit später allerdings war der Baugesellschaft das Geld ausgegangen. Bald danach begannen sich die rätselhaften Vorfälle zu häufen. So entdeckten Bauarbeiter bei Grabungen etwa Leichenteile längst verstorbener niederländischer Soldaten. Und als versehentlich eine Drachenskulptur vor Ort beschädigt wurde, starben kurz danach mehrere Bauarbeiter unter ungeklärten Umständen. Ob es nun mythologische Tierwesen, Geister aus dem Jenseits oder doch Aliens waren, die hier ihr Unwesen trieben – irgendwann war die Ufo-Siedlung niemandem mehr geheuer. Bis 2010 verfielen die bunten Behausungen immer mehr, dienten allenfalls Touristen als Fotomotiv oder Avantgarde-Künstlern als Filmkulisse. Schließlich wurden die fotogenen Häuser doch noch abgerissen und zuletzt ein neuer Badeort an derselben Stelle geplant. Bleibt zu hoffen, dass der von Geistern und Außerirdischen verschont bleibt.
Residential Francisco Hernando, Spanien
Ein schmuckloser Balkon neben dem anderen, leere Parkbänke und davor ein entenloser Teich – die spanische Großsiedlung Residential Francisco wirkte nach ihrem Entstehen lange wie ein verlassenes Filmset. Das Bauprojekt galt als Symbol für die Immobilienblase, die 2007 in vielen Ländern zur Wirtschaftskrise führte. Geplant waren die Hochhäuser für mehr als 30.000 Bewohner, es kamen nicht einmal 2000. In den letzten fünf Jahren jedoch ist die Stadtrandsiedlung schließlich doch noch nach und nach zum Leben erwacht. Von hohen Mieten und schlechten Lebensbedingungen aus der Stadt vertrieben, zogen immer mehr Familien und junge Leute in die schlichten Hochhäuser mit den vergleichsweise günstigen Mieten. Restaurants, Bars und Supermärkte kamen hinzu, sogar ein Kulturzentrum hat eröffnet. Doch um ihren Ruf abzuschütteln wird die Siedlung wohl noch eine Weile brauchen – Bilder von ihr auf Instagram findet man nach wie vor hauptsächlich unter dem Hashtag „Geisterstadt“.
Pripyat, Ukraine
Ein leerer Klassenraum, die Tafel noch mit Kreide beschrieben, ein nagelneuer Vergnügungspark, der kurz vor seiner Eröffnung stand – die Fotos der ukrainischen Geisterstadt Pripyat zeigen, wie plötzlich die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl den Alltag der dort lebenden Menschen durchbrach. Als die damals rund 50.000 Stadtbewohner am 27. April 1986 evakuiert wurden, hieß es zunächst, dass sie nach kurzer Zeit in ihre Wohnungen zurückkehren könnten. Die meisten Gebäude blieben darum über viele Jahrzehnte im selben Zustand, in dem die Bewohner sie zurückgelassen hatten. Dokumentarfilmer versuchten am Beispiel Pripyats immer wieder zu demonstrieren, wie sich unser Planet entwickeln würde, wenn die Menschheit von einem auf den anderen Tag verschwände. Auch wenn sich das Beispiel im Film gut illustrieren ließ, hatte die Sache einen Haken. Denn so ganz menschenleer war es in Pripyat schon bald nicht mehr: Die Kleinstadt wurde im Laufe der Zeit ein immer beliebteres Ziel für Touristen – und leider auch für Vandalen und Plünderer.
Kolmanskop, Namibia
Sie galt als die reichste Stadt Afrikas, die Kleinstadt Kolmanskop in Namibia. Seinen kometenhaften Aufstieg verdankte der Ort dem, was ein paar Eisenbahnmitarbeiter 1908 an einem benachbarten Bahnhof fanden: Diamanten. Bald schon war Kolmannskop vom Diamantsucher-Camp in der Wüste zum florierenden Städtchen avanciert. Neben herrschaftlich anmutenden Steinvillen entstanden unter anderem ein Elektrizitätswerk, ein Krankenhaus, eine Eisfabrik, ein Tante-Emma-Laden, ein Ballsaal mit Theater, eine Turnhalle, ein Salzwasser-Schwimmbad, eine Kegelbahn und eine Schule. Bis in die 1930er Jahre lebten die Kolmanskoper offenbar trotz der lebensfeindlichen Umgebung, in der sie sich befanden, ohne jegliche Entbehrungen. Dann waren die nahegelegenen Diamantenfelder abgebaut und die Bewohner ließen die Wüste nach und nach hinter sich, um sich mit ihrem Reichtum andernorts ein angenehmes Leben zu leisten. In die Häuser kehrt nun unaufhaltsam das zurück, was sich vor der Entstehung der Stadt an ihrer Stelle befand: der Wüstensand. Seit den 1990er Jahren können Besucher sich die heutige Geisterstadt bei geführten Touren vor Ort anschauen.
Varosha, Zypern
Am sonnenbeschienenen Sandstrand stehen noch ein paar Sonnenschirme und für einen Moment könnte man meinen, dass sich sicher gleich jemand auf eine der Liegen legt und einen Cocktail schlürft. Doch das ist in Varosha schon lange nicht mehr passiert – bei genauerem Hinsehen sieht man an diesem verlassenen Ort viel Stacheldrahtzaun und auch so manches Einschussloch in den dahinterliegenden Gebäuden. Noch 1973 erwirtschaftete das Tourismusgewerbe Zyperns über die Hälfte seiner Einnahmen in den Ferienanlagen Varoshas. Für den Massentourismus der 60er und 70er Jahre war der Ort perfekt: Hunderte Bettenburgen mit Blick aufs azurblaue Meer, dazu gab es für eine so kleine Stadt eine beachtliche Menge an Theatern, Kinos und Einkaufsläden. Im August 1974 jedoch besetzte das türkische Militär die Stadt, damit war das Ferienparadies am Stadtrand von Famagusta augenblicklich Geschichte. Seitdem verfallen die Hotelhochhäuser nach und nach, denn das Betreten ist streng verboten. Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren über Varosha als Tauschobjekt zwischen der türkischen und der zyprischen Seite verhandelt – eine Einigung steht bislang aus. Bis dahin profitiert die Natur von der menschenleeren Fläche: Der Strand zählt inzwischen etwa zu den wichtigsten Nistplätzen für die bedrohte Grüne Meeresschildkröte.
Hashima Island, Japan
Fast wundert man sich, dass die kleine Insel Hashima nicht einfach so im Meer versinkt – bei all dem Gewicht, dass sie zu tragen scheint. Denn dass Hashima bis 1974 die dichtbesiedeltste Insel der Welt war, erkennt man auch heute noch unschwer an den vielen eng zusammenstehenden Betontürmen. Inzwischen wohnt niemand mehr auf Hashima, auch wenn man sich dessen womöglich nicht so sicher wäre, wenn man des Nachts den Wind durch die fensterlosen Fassaden pfeifen hört – in Japan zumindest gilt Hashima inzwischen als Geisterinsel. Rund ein Jahrhundert lang wurde vor Hashima unterseeischer Kohlebergbau betrieben, 1890 kaufte der Autohersteller Mitsubishi das Areal um eine Musterstadt zu errichten. Zeitweise lebten dort so viele Menschen, dass jedem Inselbewohner nur noch knapp 10 Quadratmeter zur Verfügung standen. Es gab Schulen, Restaurants, Geschäfte und sogar ein Bordell auf der Insel. Heute erobert sich die Natur all diese Plätze nach und nach zurück: Überall brechen grüne Ranken durch den Beton, die wohl nach und nach dafür sorgen werden, dass die Häuser ins Meer stürzen und diese ganz besondere Geisterstadt nicht mehr ganz so schwer zu tragen hat.
Kangbashi, China
An den Stadtgrenzen der chinesischen Stadt Dongsheng wurde ab Anfang der 2000er die Planstadt Kangbashi errichtet. Ursprünglich auf 300.000 Bewohner ausgerichtet, wurden die Kapazitäten bis 2015 nochmal auf eine Million Einwohner erweitert. Die jedoch ließen eine ganze Weile auf sich warten. Bis März 2012 waren erst 5.000 Menschen in die durchaus luxuriös eingerichteten Wohntürme eingezogen. Internationale Medien berichteten dankbar über die Pleite, die sie der Kurzsichtigkeit der chinesischen Regierung zuschrieben. Die aber wollte die Schmach offenbar nicht auf sich sitzen lassen und lockte mit immer höheren Kompensationsangeboten die Landbevölkerung in die vermeintliche Geisterstadt Kangbashi. Inzwischen sollen immerhin über 150.000 Menschen dort wohnen. Wie schnell sie sich in der urbanen Umgebung tatsächlich zu Hause fühlen werden, bleibt wohl abzuwarten. Laut einem Artikel des Guardian erhalten die Neuankömmlinge von Gemeindebetreuern zur Begrüßung Broschüren mit Verhaltensregeln wie: „Spuckt nicht auf die Straße! Werft den Müll nur in die Mülltonnen! Spielt keine laute Musik und fahrt nicht auf den Gehwegen!“