Brückenbaupreis 2023: Die sechs beeindruckendsten Überwege Deutschlands
Der Deutsche Brückenbaupreis wird alle zwei Jahre durch die Bundesingenieurkammer und den Verband Beratender Ingenieure vergeben. Wir stellen die Gewinner des Jahres 2023 vor.
Brücken helfen uns über Flüsse, Kontinente oder achtspurige Autobahnen zu gelangen. Zugleich sind sie oft hochkomplexe Ingenieursleistungen und manchmal sogar echte Designstücke. Besonders herausragende Bauwerke in Deutschland werden auch im Bereich des Brückenbaus ausgezeichnet. Das sind die Gewinner in den Kategorien Straßen-, Eisenbahn-, Radweg- und Fußgängerbrücken:
Brückenpreis 2023 in der Kategorie „Straßen- und Eisenbahnbrücken“
1. Platz: Stadtbahnbrücke in Stuttgart
Dünn wie Spinnfäden sehen die 72 Tragseile dieser Brücke aus, wenn man sie aus ein paar Metern Entfernung betrachtet. Dabei ist das Material, aus denen die Seile gefertigt sind, außerordentlich stabil: Es handelt sich um Carbonfasern. Die Verkehrsverbindung der Stadtbahnlinie U6 ist damit eine Weltneuheit, denn üblicherweise werden Brücken ihrer Dimension mit Stahlseilen stabilisiert. Die Stadtbahnbrücke spannt sich über eine Entfernung von 107 Metern. Darunter befinden sich die acht Fahrspuren der A8 am Echterdinger Ei, aber kein einziger Stützpfeiler. In Kooperation mit der Schweizer Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt hat das Ingenieurbüro Schlaich Bergermann Partner das Baumaterial optimal auf die Anforderungen einer solchen Brücke abgestimmt. Das längste der Tragseile misst neun Meter und hat ein Gewicht von nur 40 Kilogramm. Würde es sich um ein Stahlseil handeln, wäre dieses mindestens vier Mal so schwer. Dadurch, dass beim Bau viel weniger Stahl und Beton nötig waren als für herkömmliche Brücken, ist das Projekt außerdem besonders nachhaltig und hat sich den Brückenbaupreis eindeutig verdient.
2. Platz: Fuldatalbrücke in Bergshausen
Als diese Autobahnbrücke entstand, rechneten die damaligen Bauherren mit deutlich weniger Verkehr. Denn die Verkehrsverbindung, die in Bergshausen über die Fulda führt, ist inzwischen rund 50 bis 60 Jahre alt. Eine neuere Untersuchung ergab, dass die Brücke statische Mängel aufweist. Damit der Verkehr hier weiter fließen kann, muss also Ersatz her – doch das ist nicht ganz so schnell möglich, wie es nötig wäre. Bis die neue Brücke 2028 gebaut werden kann, hat das Hamburger Ingenieursbüro WTM Engineers eine zeitgewinnende Lösung gefunden, mit der „sich die Brücke selbst helfen kann“, wie Ingenieur Gero Marzahn erklärt: „Wir unterspannen die Brücke und die Kräfte, die dazu erforderlich sind, werden in die Brücke eingeleitet.“ Diese elegante Lösung hat auch die Jury überzeugt.
3. Platz und Sonderpreis „Nachhaltiges Bauen“: Pilotbrücke Stokkumer Straße in Emmerich, Heitkamp
In 80 Tagen von der einen auf die andere Seite der A3: Das haben die Konstrukteure dieser Brücke geschafft. Zugleich haben sie rund 67 Prozent an CO₂-Emissionen gegenüber der herkömmlichen Bauweise einer solchen Brücke gespart. Grund dafür waren die recyclebaren und lokal vorhandenen Materialien, mit denen sie gearbeitet haben. So entstanden die Widerlager unter anderem aus geokunststoff-bewehrter Erde. Lokal vorhandene Erde wurde dafür mit Geotextilien versteift, um sie tragfähiger zu machen. Zum Einsetzen des Stahlverbundüberbaus brauchten die Konstrukteure anschließend nur noch ein einziges Wochenende. Die einfach konstruierte Brücke aus nachhaltigen Baustoffen hat die Jury des Brückenbaupreises dreifach überzeugt: Sie sei „wegweisend in Baugeschwindigkeit, Ressourcenschonung und CO₂-Einsparung“, hieß es in der Urteilsbegründung.
Brückenpreis 2023 in der Kategorie „Fuß- und Radwegbrücken“
1. Platz: Fußgängerbrücke „Miniatur Wunderland Hamburg“
Wie attraktiv Backsteinwände aussehen können, weiß erst wirklich, wer einmal in der Hamburger Speicherstadt war. Das Labyrinth aus Kanälen ist der weltgrößte Komplex denkmalgeschützter Lagerhäuser. Zwischen zwei dieser historischen Gebäude erstreckt sich heute das Modelleisenbahnmuseum „Miniatur Wunderland“. Damit Besucher mühelos zwischen beiden Museumsteilen hin- und herspazieren können, musste eine Brücke her. Doch wie baut man die, wenn die beiden Gebäudefassaden, zwischen denen sie sich erstreckt, nicht belastet werden dürfen? Der Hamburger Ingenieur Christian Böttcher hatte da eine Idee: „Die Kunst liegt darin, dass hinter der Fassade zwei Stützenpaare angeordnet werden, die mit der Brücke verschweißt sind“, erklärt der Ingenieur. Die Stützenpaare reichen über alle Stockwerke bis in die Keller beider Gebäude. „Dort werden sie über ein Auslegerfachwerk nach hinten verankert und in den Baugrund weitergeleitet“, so Böttcher. Klingt nach einer perfekten Lösung für attraktive Backsteinwände und verdient sich den deutschen Brückenbaupreis 2023.
2. Platz: Carl-Alexander-Brücke bei Dornburg
Einst nach Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach benannt, hatte die 1892 erbaute Stahlbogenbrücke zuletzt nicht mehr viel Herrschaftliches an sich: Sie rostete zusehends vor sich hin. Mit Hilfe eines Brückenvereins aber konnte die Sanierung des Denkmals ab 2018 endlich beginnen. Das Weimarer Büro IGS Ingenieure musste dafür die alte Konstruktion neu aufmessen und statische Berechnungen anstellen – denn die hatte es zur Entstehungszeit der Brücke noch nicht in heutiger Form gegeben. Auch mussten die Ingenieure behutsam planen, wo sie welche Materialien einsetzen konnten, um die Tragfähigkeit der Brücke zu sichern, sie aber gleichzeitig in möglichst originalem Zustand zu erhalten. So ersetzen nun zeitgemäße Elastomerlager die klassischen Rollenauflagen und statt des innenliegenden Wind- und Schlingerverbands bauten die Fachleute eine Fahrbahn aus Stahl ein. Die Brücke wird nun als Fuß- und Radbrücke genutzt – und als geschichtsträchtiger Ausflugsort, von dem aus man einen phänomenalen Ausblick über die Saale-Landschaft hat.
3. Platz: Mühlensteg in Besigheim
Grundlage dieser poetisch anmutenden Brücke ist eigentlich ein einfaches und bewährtes Konstrukt: die Hängebrücke. Doch anstatt sich des zwar robusten, aber auch ein wenig langweiligen Konzepts in seiner Reinform zu bedienen, wandelte Andreas Keil vom Ingenieurbüro Schlaich Bergermann Partner es kunstvoll in ein asymmetrisches und sehr dynamisches Design um. Dafür neigte er die einseitige Tragkonstruktion schwungvoll nach hinten. Das Ergebnis erinnert optisch an eine Harfe – das Tragseil wären der gebogene Rahmen, die Hängerseile die Saiten. Möglich wird die elegante Form dadurch, dass der Mühlensteg über einen geneigten Pylon nach hinten abgespannt ist. Der Fußgänger- und Radüberweg fügt sich damit harmonisch in die weichen Formen der idyllischen Natur ein, durch die er vom Uferpark in Richtung der namensgebenden Mühle führt. Dafür gab es eine Platzierung auf dem Treppchen beim deutschen Brückenbaupreis.