Die Telefonzelle in Deutschland: Eine 142-jährige Ära endet
Zugegeben, sie waren nicht die allergemütlichsten Orte: Angekokelte Scheiben, ein beißender Geruch in der Luft und ein altes Kaugummi im Münzfach – so wurden Anrufende zuweilen begrüßt. Trotzdem waren die verlässlichen, kleinen Kabinen lange aus keinem Stadtbild wegzudenken. Nun geht die 142-jährige Geschichte der Telefonzelle in Deutschland zu Ende.
Jede Münze einzeln fiel scheppernd in den Schlitz, dann wählte der oder die Anrufende die Nummer und wartete Freizeichen für Freizeichen, dass am anderen Ende jemand den Hörer seines verkabelten Festnetztelefons abnahm. Kaum mehr vorstellbar, dass Telefonieren einmal so funktioniert hat. Die letzten Zeugnisse dieser Ära werden bis spätestens 2025 in Deutschland Geschichte sein, denn bis dahin baut die Telekom die letzten Telefonzellen ab. Anrufe von dort werden schon vorher nicht mehr möglich sein: Ende Januar werden die noch verbliebenen öffentlichen Telefone vom Netz getrennt.
Die Telefonzelle verliert ihren Zweck
Damit sich eine Telefonzelle rentiert, muss sie mindestens 50 Euro Umsatz im Jahr einbringen. Dieses Ziel verfehlten ein Drittel der verbliebenen Telefonhäuschen zuletzt besonders deutlich – sie warfen nicht mal mehr einen einzigen Euro pro Jahr ab. Der Grund liegt auf der Hand: Rund 89 Prozent der Deutschen besitzen inzwischen ein Mobiltelefon. Argumente gegen den Weiterbetrieb öffentlicher Telefone gibt es indes immer mehr. So verbraucht eine Telefonzelle, selbst wenn sie nicht zur Kontaktaufnahme genutzt wird, zwischen 500 und 1250 Kilowattstunden Strom im Jahr. Der Abbau ist somit auch ein Beitrag in Sachen Nachhaltigkeit. Möglich wird der Verzicht auf öffentliche Telefone durch eine Änderung des Telekommunikationsgesetztes, die Ende 2021 in Kraft trat. Danach gilt diese Form der Kommunikation nicht mehr als Teil der Grundversorgung. Selbst für Notrufe braucht niemand mehr ein öffentliches Telefon. Denn auch die gehen per Handy deutlich einfacher, zumal der Live-Standort gleich mitgeschickt werden kann.
Telefonzelle: Mobiltelefon des letzten Jahrtausends
Noch in den 1990er Jahren sah das ganz anders aus. Da waren die kleinen gelben Kabinen aus keinem Stadtbild wegzudenken. Rund 160.000 von ihnen standen über ganz Deutschland verteilt – selbst an abgelegenen Waldrändern fand sich zuweilen noch eine Möglichkeit, den zu Hause Gebliebenen mitzuteilen, dass es heute etwas später werden würde. Doch schon seit der Jahrtausendwende wurde die Anzahl der Telefonhäuschen in Deutschland immer kleiner. Hatten sich, insbesondere an Bahnhöfen oder in Einkaufszonen, einst Schlangen vor den Zellen gebildet, verwaisten die einen Quadratmeter großen Kabinen nun zusehends.
Immerhin fanden Kommunen und Fans für ausrangierte Telefonzellen oft kreative Zweitverwendungen: als Gartendusche, als Bücherschrank oder in Berlin sogar als „kleinste Disco der Welt“ mit angeschlossenem Selfie-Automaten. Dieser huldigende Umgang mit den ausgedienten Kabinen stand oft in starkem Kontrast dazu, wie sie während ihres regulären Einsatzes behandelt worden waren. Rund eine Million Euro Schaden beklagte die Telekom noch 2016 wegen Vandalismus an Telefonzellen.
Die erste Telefonzelle in Deutschland
Dabei war die Ehrfurcht vor der Technik noch groß gewesen, als der erste sogenannte „Fernsprechkiosk“ Deutschlands 1881 in Berlin aufgestellt wurde – schließlich besaß zu dieser Zeit kaum ein Privathaushalt ein eigenes Telefon. 142 Jahre ist das her. Damals brauchten Anrufende zunächst ein „Telephon-Billet“ um den Apparat in der Zelle nutzen zu dürfen. Es handelte sich dabei um einen kleinen Papierschein, den man bis zum Verlassen der Telefonkabine aufbewahren sollte wie eine Fahrkarte. Ab 1899 gab es dann die ersten Münztelefone, die anfangs in blau-gelbem und bald darauf roten Design gehalten waren. Ihr charakteristisches leuchtendes Postgelb erhielten Telefonzellen erst ab den 1950er Jahren. Ab da wurde in Westdeutschland das Telefonhäuschen Typ FeH53 zum Standard. Die schmucklose Kabine bestand in ihren tragenden Teilen aus Stahlblech und gewährte durch große, nicht unterteilte Fenster Einblick in ihr Inneres. Ab 1990 ließen sich öffentliche Anrufe auch mit der Telefonkarte begleichen, einer aufladbaren Chipkarte. Da die Karten mit verschiedenen Motiven bedruckt waren, wurden sie schon bald zu beliebten Sammlerobjekten.
Neuer Look, altes Problem
Mit der Privatisierung der Telekom änderten die Telefonzellen nochmals ihre Farbe, diesmal vom auffälligen Gelb zu einem sachlichen Grau mit magentafarbenem Dach. Immer häufiger mussten sich Nutzer öffentlicher Telefone allerdings ganz ohne Dach begnügen. Aus Kostengründen wuchs die Zahl der freistehenden Telefonsäulen ohne Kabine. Seit Ende der 2000er-Jahre tauchten darüber hinaus an viel frequentierten Orten sogenannte Multimedia-Terminals auf. Auf einem Touchscreen konnte man an ihnen Informationen im Internet nachlesen oder eine SMS versenden. Genutzt wurden diese Terminals zuletzt wenig, denn – man ahnt es – dafür hatten die meisten ja inzwischen ihr Smartphone.