Ganz ich selbst - Vom Selfie im Aufzug
Ob es ein Foto aufwertet, wenn man sich selbst darin in den Mittelpunkt stellt, muss jeder selbst entscheiden. Die anhaltende Beliebtheit digitaler Selbstporträts, neudeutsch Selfies genannt, deutet darauf hin, dass viele Menschen dieser Meinung sind.
Die besonders in Asien beliebte Selfie-Stange ist der objektivierte Ausdruck dieser Begeisterung. Kim Kardashian hat unlängst sogar ein Buch ausschließlich mit Selfies veröffentlicht. Warum die Menschen so begierig darauf sind, sich selbst auf Fotos zu finden, mag vielleicht daran liegen, dass sie sich schon längst verloren haben. Aber das ist eine andere Geschichte.
Spiegel meiner selbst
Wir wollen uns hier mit einer geläufigen Kategorie innerhalb des Selfie-Genres befassen: dem Aufzugselfie. Insbesondere auf Instagram erfreut sich diese Selfie-Pose nachhaltiger Beliebtheit. Ein Großteil der dort geposteten Aufzugselfies zählt strenggenommen zu den sogenannten Mirrorselfies. Dabei stellen sich die Protagonisten vor einen Spiegel und fotografieren ihr Spiegelbild mit Smartphone oder Fotokamera. Obwohl ästhetische Gründe dagegen sprechen (das Foto ist spiegelverkehrt, die Kamera sichtbar, der Blitz reflektiert usw.) verwenden viele Nutzer diese Technik, um uns mit Ganzkörperansichten zu erfreuen. Und da in zahlreichen Aufzugskabinen bodentiefe Spiegel angebracht sind, eignen sich diese Orte besonders gut.
Alleine im Aufzug
Aber es gibt noch weitere Gründe, die den Aufzug zum bevorzugten Ort der Selbstfotografie werden lassen. So ist man dort oft allein und hat zudem Zeit sich mit sich selbst zu beschäftigen. Denn - so widersinnig es klingen mag - vielen Menschen ist das Selfie peinlich. Nicht das gelungene auf Facebook, Twitter oder Instagram, sondern der Moment der Aufnahme, das von anderen despektierlich beobeachtete Sich-selbst-in-Szene-setzen. Daher konnte sich der Selfie-Stick auch in unseren Breiten nicht durchsetzen. Man möchte beim Selfie-Machen nicht beobachtet werden, sondern lässt erst online die Hosen runter.
Hinzu kommt: Im Aufzug haben wir nichts zu tun. Das Spiegelbild zieht unsere Ausmerksamkeit auf sich und lädt unsere Eitelkeit zum Spielen ein. Aus genau diesem Grund werden Spiegel übrigens in Aufzügen installiert: Die Nutzer sollen sich lieber mit sich selbst beschäftigen als etwas kaputt zu machen. Wenn dann noch das Smartphone bei der Hand ist, sind die Likes schon in greifbarer Nähe. So haben sich auf Twitter und Instagram schon Rubriken und Reihen wie das "Elevatorselfie am Mittwoch" etabliert. Die ehemalige "Monrose"-Sängerin Senna Gammour hat sogar einen eigenen Instagram-Kanal für ihre Aufzugsselfies angelegt.
Die Kamera im Bild
Was den Aufzugselfie (resp. das Mirrorselfie) von allen anderen Spielarten des Selfietums unterscheidet, ist, dass das Aufnahmemedium, die Kamera, selbst auf dem Bild zu sehen ist. Während beim gewöhnlichen Selfie der Ausführende sich selbst als Objekt inszeniert, kommt er hierbei auch als Subjekt in den Blick. Er sieht sich selbst dabei zu, wie er von sich selbst ein Bild macht.
Analog zum Film-im-Film wird dabei das Realismus-Primat hinterlaufen: Nicht mehr ich selbst bin im Bild, sondern ich selbst, wie ich von mir ein Foto mache. Für den Betrachter wird dadurch die Inszenierung des Ganzen noch augenfälliger. Während beim gewöhnlichen Selfie der ausgestreckte Arm des Fotografen unsichtbar bleibt, kommt der Fotograf als ebensolchen ins Bild.
Das erinnert an den Witz mit den drei Fröschen, die auf einem Seerosenblatt sitzen und in den Himmel starren. "Ich wäre gern ein Vogel", sagt der erste Frosch, "dann könnte ich fliegen." "Ich wäre gern zwei Vögel", erwidert der zweite Frosch. "Dann könnte ich mir selbst hinterherfliegen." "Ich wäre gern drei Vögel", sagt schließlich der dritte Frosch. "Denn dann könnte ich sehen, wie ich mir selbst hinterherfliege." Nichts anderes ist das Aufzugselfie: Wir sehen uns selbst dabei zu, wie wir von uns selbst ein Foto machen. Vielleicht werden wir ja auf diese Weise fündig.