Regisseurin Sonja Heiss: "Der Fahrstuhl ist eine preiswerte Location"
Zuerst bleibt der Aufzug hängen, dann klemmt es im Leben: In der Tragikomödie Hedi Schneider steckt fest, die ihre Premiere auf der letztjährigen Berlinale feierte, wird eine lebenslustige junge Frau aus scheinbar heiterem Himmel von Panikattacken heimgesucht. Mit warmherzigem Humor erzählt die Regisseurin Sonja Heiss von den Tücken einer Angststörung. Wir sprachen mit der Filmemacherin und ihrer Hauptdarstellerin Laura Tonke über das Drehen auf engstem Raum und die Metapher des fahrenden Kastens.
Am Anfang des Films bleibt Hedi Schneider wortwörtlich stecken – im Aufzug. Warum ist diese Szene so wichtig?
Laura Tonke: Die Art und Weise, wie Hedi Schneider im Fahrstuhl steckenbleibt, sagt viel über sie aus: Sie wirkt unbekümmert, nimmt die Situation locker, erlaubt sich sogar noch einen Scherz mit dem Mann vom Notruf, indem sie Burger und Pommes bestellt. Gleichzeitig ist der Moment ein früher Wendepunkt im Film, denn später würde sie in derselben Lage nicht mehr so entspannt reagieren. Hier ist das Steckenbleiben für sie zwar ärgerlich, weil sie zu spät zur Arbeit kommt, aber sie macht nicht nur das Beste daraus, sondern gewinnt auch fast noch einen neuen Freund.
Sonja Heiss: Die Szene im Fahrstuhl war sogar mal die allererste im Film. Sie soll zeigen, dass Hedi Schneider mutig ist und sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen lässt. Dass sie nicht sofort hysterisch wird, wenn ein Aufzug steckenbleibt.
Wie kam es zu der Szene?
Laura Tonke: Sie ist beim Improvisieren während des Castings entstanden, also noch bevor ich überhaupt als Hedi Schneider besetzt war. Und sie hat wahnsinnigen Spaß gemacht. Wir waren in Sonjas Wohnung, und ich stand mit dem Kameramann im Badezimmer. Der Schauspieler, der den Notruf-Mann spielte, kniete vor der Tür. Sonja hat die Szene anschließend abgeschrieben und ins Drehbuch übernommen. Am Ende wollten wir wieder denselben Schauspieler für den Notruf haben, aber der hatte leider keine Zeit. Also haben wir es mit zwei, drei anderen Schauspielern probiert, bevor wir letztlich die Tonspur vom Casting genommen haben. Da hatte der Mann einfach die richtige Mischung drauf aus genervt und gelangweilt, man hatte sofort ein Bild von ihm vor Augen.
Sonja Heiss: Ich hatte mir das Gespräch im Fahrstuhl ausgemalt, und dass da eine Stimme aus der Sprechanlage kommt. Irgendwann fiel mir ein, dass man mal überprüfen müsste, ob das überhaupt so abläuft. Aber dann dachte ich: "Nee, das tue ich besser nicht." Denn die Szene ist super so, und es spielt keine Rolle, ob das wirklich passiert. Laura Tonke: Als ich beim Dreh im echten Fahrstuhl stand, habe ich mir Sonjas kleines Badezimmer zurückgewünscht, weil die Szene bei den Proben so gut funktioniert hatte. Der echte Aufzug wirkte im Vergleich plötzlich viel zu groß.
Hat es lange gedauert, die Fahrstuhlszene zu drehen?
Sonja Heiss: Ja, mindestens einen halben Tag. Wir haben in einem echten Fahrstuhl gedreht, den kann man ja schwerlich von beiden Seiden flmen. Deshalb mussten wir die Szene so drehen, dass man sie gut schneiden kann, wir brauchten viele Schnittbilder. Wir haben wirklich lange gebraucht – aber auch deshalb, weil Hedi Schneider in dieser Szene eingeführt wird, weil der Zuschauer sie hier kennenlernt.
»Im amerikanischen Kino gibt es unzählige Aufzug-Szenen.«
Indirekt taucht der Aufzug nun sogar im Filmtitel auf. Stand das schon früh fest?
Sonja Heiss: Nein, ursprünglich sollte der Film Mother's Little Helpers heißen. Aber ich mochte den Titel irgendwann nicht mehr und brauchte einen neuen. Also bin ich die Dialogzeilen durchgegangen, und da gab es diesen einen Satz: "Hallo, mein Name ist Hedi Schneider, ich stecke fest." Erst mal wurde das nur zum Arbeitstitel, aber am Ende war kein anderer so überzeugend wie dieser. Der Fahrstuhl ist ja eine Metapher: Erst bleibt sie in ihm stecken, dann bleibt sie auch in ihrem Leben stecken.
Gab es in Ihrem eigenen Leben schon eindrückliche Aufzüge, Frau Tonke?
Laura Tonke: Als Erstes fällt mir da ein winziger, klappriger Fahrstuhl am Berliner Ku'damm ein, in der Pension einer Freundin meiner Eltern. Als Kind fand ich den wahnsinnig toll, er hatte nämlich eine Falttür. Außerdem bin ich mit meinem Vater mal in Schöneberg Paternoster gefahren. Damals habe ich mich gefragt, wie das Ding eigentlich die Richtung wechselt, ob es sich unter dem Dach einfach dreht und dann kopfüber wieder hinunterfährt. Die Fahrt war mit ein bisschen Angst verbunden…
Matthew Weiner, Autor von Mad Men, würdigte kürzlich die Bedeutung des Aufzugs für seine Serie. Er schätzt ihn nicht zuletzt aus dem pragmatischen Grund, dass er ein unkomplizierter, kostengünstiger Drehort ist.
Sonja Heiss: Der Fahrstuhl ist tatsächlich eine sehr preiswerte Location. Unkompliziert war unser Dreh aber nicht. Denn Laura musste auch spielen, wie sie steckenbleibt – schließlich blieb ja die Tür für die Kamera offen. Sie fand es ganz schön schwierig, den Ruck beim Steckenbleiben zu simulieren. Der Sounddesigner hat aber am Ende noch ein schönes Geräusch druntergelegt, ein letztes Aufbäumen der Technik.
In so manchem Film spielt der Aufzug eine tragende Rolle.
Sonja Heiss: Klar, er ist ein totales Filmmotiv: der Paternoster zum Beispiel, oder der Fahrstuhl zum Schafott. In amerikanischen Filmen gibt es unzählige Szenen, wo in großen Fahrstühlen irgendetwas zwischen Menschen passiert. Oft stecken ja auch Leute fest und müssen dann über die Seile rausklettern. Aber gerade deswegen fand ich es gut, das in meinem Film mal ganz anders zu machen. Im Fahrstuhl nur ein Gespräch mit dem Mann an der Leitung zu inszenieren – weder Panik noch Suspense. Und ich glaube und hoffe, dass durch meine Witze schon recht deutlich wird, dass Hedi Schneider da irgendwann wieder rausgeholt wird.
Dieser Beitrag ist erschienen im Schindler Magazin "Der Aufzug. Wie er uns bewegt (2015)". Unter www.schindler.com lässt es sich gratis herunterladen - oder auch kostenfrei als Print-Version bestellen. Der Film Hedi Schneider steckt fest ist auf DVD und Blu-ray erhältlich.
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