
Pilze als Baustoff: Kommt bald die grüne Revolution im Bausektor?
Der Bausektor braucht dringend Innovationen, um klimafreundlicher zu werden. Eine Lösung: Pilze. Als Baustoff haben die Organismen bereits Beachtliches hervorgebracht.
Der Pilz – eine kuriose Angelegenheit. Er ist irgendetwas zwischen Pflanze und Tier, mal lecker, mal giftig und sein Äußeres lässt sich von verwunschen bis ulkig einstufen. Während wir uns genüsslich den sichtbaren Teil von Champignon & Co. einverleiben, bleibt der unterirdische Restpilz in der Regel ungeachtet seiner Existenz. Dabei hat das Wurzelwerk das Potenzial, ein Baustoff der Zukunft zu werden. Pilze als Baustoff? Richtig gelesen. Der Einsatz befindet sich zwar noch im Versuchsstadium – doch der Fungus könnte bei weiterer Forschung als zuverlässiger und vor allem nachhaltiger Werkstoff fungieren.
Pilze als Baustoff – vom magischen Myzel zum massiven Material
Der unterirdische Pilzteil heißt Myzel. Das Myzel ist ein wurzelähnliches Geflecht an Pilzfäden, den sogenannten Hyphen. Genauer genommen handelt es sich bei Hyphen um fadenförmige Zellen, die man nur unter dem Mikroskop erkennen kann. Es sind Millionen. Und das ist das Praktische an der ganzen Sache: Denn diese schiere Menge an Pilzfäden sorgt für eine rasante „Produktion“ des Baustoffs.
Die Pilzfäden werden zunächst mit einem Nährboden aus pflanzlichen Abfällen vermischt, beispielsweise mit Holzspänen oder Getreideschalen. Sie ernähren sich von Cellulose (der Hauptbestandteil pflanzlicher Zellwände) und durchziehen das Substrat. Das Gemisch verwandelt sich nach einigen Tagen bis Wochen in eine fluffige, dichte Substanz aus miteinander verwobenen Zellfäden. Diese Substanz gibt man in die gewünschte Form. Dort entsteht eine feste Struktur, die man im Ofen trocknet, um den Wachstumsprozess zu stoppen. Nun hat man den Pilz als Baustoff.
Dem metamorphosierten Material werden anschließend Zuschlagsstoffe zugesetzt, um für ausreichend Stabilität zu sorgen. Robuste Pflanzenfasern aus Hanf oder Flachs zum Beispiel. Dabei lassen sich Eigenschaften wie Textur oder Elastizität steuern. Und genau das ist höchst interessant für die Bauwirtschaft.

Pilzinnovationen können die Baubranche dekarbonisieren
Der Bausektor verzeichnet einen hohen Ressourcenverbrauch und verursacht Unmengen an Müll. Er ist hierzulande für fast die Hälfte des Abfallaufkommens verantwortlich. Der Bedarf an nachwachsenden Materialien ist groß – so werden zum Beispiel Sand und Kies knapp, die für die Betonherstellung benötigt werden. Die Herstellung von Beton sowie auch Stahl schädigt zudem das Klima, da sie enorm viel CO2 freisetzt. Es fehlt an umweltfreundlichen Alternativen zu Beton, Stahl, Zement, Glas, Styropor und weiteren Materialien.
Hier kommen Pilze ins Spiel. Pilze sind schnell nachwachsende Rohstoffe, die sich einfach kultivieren lassen. Zusammen mit pflanzlichen Rückständen aus der Agrarindustrie produzieren sie wie oben beschrieben „ganz von allein“ neue Stoffe – es wird kaum Energie und fossiler Brennstoff eingesetzt. Bei der Produktion lassen sich physikalische und mechanische Eigenschaften wie Festigkeit, Luftdurchlässigkeit und Dämmwerte steuern. Bestimmte Pilzkompositionen wirken wie Kleber, eine Art organischer Mörtel, mit dem man selbst schwerste Bauteile miteinander verbinden kann. Pilz als Baustoff hat mitunter eine feuerhemmende und lärmabsorbierende Wirkung.
Wenn die Baumaterialien nach ihrem Einsatz nicht mehr gebraucht werden, kann man sie kompostieren. Die einstigen Materialien werden hier als Bio-Abfälle weiterverarbeitet. So muss kein neues Material gekauft werden. Pilzmyzel ist also ein kreislaufgerechter Werkstoff, der zur Müllvermeidung beiträgt. Und: Wirtschaftsnationen werden durch die unkomplizierte Kultivierung unabhängiger von Exporten.
Zwei Beispiele zeigen, was Pilze als Baustoff alles leisten können.

Mycocrete: Gestrickter Pilzbeton für Bauwerke
Ein Mix aus Myzel und Merinowolle mit betonartigem Ergebnis: Das ist der Baustoff Mycocrete. Diesen haben die englische Wissenschaftlerin Dr. Jane Scott und ihr Team an der Universität in Newcastle entwickelt. Das Myzel ernährte sich in diesem Fall zunächst von Papierpulver, Papierfaserklumpen, Xanthan, Glycerin und Wasser. Diese Stoffe verleihen Volumen. Die „Form“, in die Forscherinnen und Forscher die fluffige Substanz gaben, war ein durch eine 3D-Maschine gestricktes Gewebe aus Merinowolle, welches sterilisiert und anschließend an einem starren, kuppelförmigen Gerüst befestigt wurde. Die gestrickte Struktur wurde bewusst gewählt, da sie Sauerstoff durchlässt, was den Pilzwuchs begünstigt. Und so entstand Bioknit, eine freistehende Kuppel. Dr. Scott glaubt fest daran, dass Mycocrete bei weiterer Optimierung ein kostengünstiger, umweltfreundlicher Ersatz für Beton, Plastik, Schaumstoff oder Holz werden könnte.
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Mogu: Modernes Innendesign für ruhigere Räume
Der italienische Industriedesigner Maurizio Montalti treibt seine Vorstellung von „Funghi“ nicht als Pizzabelag, sondern in Form von Boden- und Wandbelägen voran. Sein Startup Mogu stellt schallabsorbierende Bodenfliesen und -rollen, Wandpaneele und Akustikelemente her, die nicht nur stylisch aussehen, sondern auch robust und funktional sind. Die Fliesen werden mit einer zwei Millimeter dünnen Schicht Bio-Polyurethan belegt, die für Extra-Strapazierfähigkeit sorgt. Die Rollen lassen sich sogar einmal komplett um den Raum die Wände hoch verlegen. Die Paneele sind feuerhemmend und der Brandschutzklasse B zugehörig. Und die 2022 mit einem German Design Award ausgezeichneten Akustikelemente schaffen in Büros, Cafés und auch im eigenen Zuhause eine angenehme Atmosphäre.

Kann der Pilz mit anderen Baustoffen mithalten?
Was die Wachstumszeit angeht, haben Pilze im Vergleich zu beispielsweise Holz oder Sand die Nase vorn – immerhin dauert es nur wenige Wochen, bis sich das Bausubstrat bildet. Auch in puncto Kreislaufwirtschaft punkten die Pilze, denn sie recyclen organische Abfälle, die als Produkte wiederaufbereitet werden. Ihre Formbarkeit ist ebenfalls ein Pluspunkt.
Doch bis pilzbasierte Baumaterialien in die Massenproduktion gehen, ist es ein langer Weg. Denn auch wenn das Myzel in zahlreichen Pilotprojekten vielversprechende Ergebnisse liefert, gibt es noch Probleme im Hinblick auf die strukturelle Stabilität und eine gleichbleibende Qualität bei unterschiedlichen Anwendungen. Hier ist Optimierung sowie anschließend eine Standardisierung vonnöten. Bleibt zu hoffen, dass sich die Mammutbranche den Innovationen öffnet – und so einen Schritt weiter in eine klimafreundliche Zukunft geht.