Historismus-Architektur: 6 Gebäude, die alte Epochen neu interpretieren
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden zahlreiche Gebäude im Stil der Historismus-Architektur errichtet. Bis heute erstrahlen diese 6 historistischen Bauwerke im Schmuck vergangener Epochen.
Gotische Spitzbögen, byzantinische Kuppeln und üppige Balkone wie zu Zeiten des Barocks sind typische Merkmale für den Stil der Historismus-Architektur. Beim Historismus dreht sich alles um die Nachahmung oder Neuinterpretation bereits vergangener Stilepochen. Erste Gebäude dieser Bauart, wurden schon im 18. Jahrhundert errichtet. Ab dem 19. Jahrhundert breitete sich der Stil in Mitteleuropa aus. Bis zum ersten Weltkrieg entstanden zahlreiche Bauten, die der Ästhetik älterer Epochen nachempfunden sind. Wir zeigen 6 der bedeutendsten Historismus-Bauwerke.
Strawberry Hill House London
Das neogotische Schlösschen im Westen Londons wurde nach den Vorstellungen des britischen Schriftstellers Horace Walpole erbaut und läutete so die früheste Phase des Historismus ein. Der Bau des Anwesens wurde bereits 1749 begonnen und konnte 1776 fertiggestellt werden. Damit ist Strawberry Hill eines der frühesten Bauwerke der romantischen Historismus-Architektur und gilt mit seinen neogotischen Spitzbögen als wegweisend für diese erste Phase. Auch für Walpoles Literatur war seine Sommerresidenz entscheidend: Sein erster Roman „Das Schloss von Otranto“ war von seinem gotischen Traumschloss inspiriert.
Royal Pavilion Brighton
Das im indischen Stil umgebaute Anwesen von König George IV. entstand zwischen 1815 und 1823 und gehört damit ebenso der ersten Phase der Historismus-Architektur an. Der vom Architekten John Nash verwendete Stil wird als Orientalismus bezeichnet. Dabei bedienten sich westeuropäische Länder an Stilelementen ihrer Kolonien. So entspricht die Außenfassade einem prunkvollen indischen Palast, während die Innenausstattung nach chinesischem Vorbild gestaltet wurde. Nach dem Tod von König George IV. wurde das Anwesen 1850 an die Stadt Brighton verkauft und im ersten Weltkrieg als Lazarett für indische Soldaten verwendet. Daraufhin musste es aufwändig restauriert werden und ist heute in Teilen für Besucher zugänglich.
Ringstraße Wien
Die 5,2 Kilometer lange Ringstraße in Wien ist ein besonders eindrucksvolles Beispiel der Historismus-Architektur. Hier reiht sich ein der Renaissance oder dem Barock nachempfundenes Gebäude ans andere. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts stand an Stelle des opulenten Straßenzugs eine Schutzmauer, welche jedoch zu einem Boulevard umfunktioniert wurde. Auch die Wiener Bourgeoisie errichtete dort ihre Palais. Die Anwesen waren für den Historismus typisch nicht nur als funktionale Wohnhäuser konzipiert, sondern sollten an erster Stelle repräsentativ sein. Neben privaten Palais befinden sich in der Wiener Ringstraße auch wichtige Gebäude wie die Staatsoper, das Burgtheater und das Parlament. Die Ringstraße fällt mit ihrer Bebauung ab 1858 in die Zeit der strengen Historismus-Architektur, wobei die historischen Bauelemente so korrekt wie möglich nachgeahmt und kombiniert wurden. Insbesondere die Renaissance war Bezugspunkt der zweiten Historismus-Phase.
Basilica Sacré-Coeur de Montmartre
Hoch oben auf dem Hügel des Pariser Künstlerviertels Montmartre thront die Basilika Sacré-Coeur. Der Architekt Paul Abadie erbaute die Kirche im neobyzantinischen Stil nach Vorbild der Hagia Sophia in Istanbul und des Markusdoms in Venedig. Neben der Basilika Sacré-Coeur wurden zu Zeiten des Historismus insbesondere in Russland und Jugoslawien neobyzantinische Kirchen erbaut. Typisch sind hierbei die ausladenden Kuppeln, welche jedoch nicht wie etwa in Russland in Gold erscheinen, sondern wie der Rest der Kirche reinweiß sind. Der Bau der Basilika begann bereits 1875, wurde aber erst 1914 fertiggestellt, lange nachdem Abadie bereits verstorben war.
Schloss Drachenburg Königswinter
Am Drachenfels über dem Rhein steht die Drachenburg in Königswinter. Sie entstammt der Phase der Burgenrenaissance und gehört damit ebenso zur Historismus-Architektur. Angestoßen durch die Neogotik wurden Burgen und Schlösser aus dem Mittelalter romantisiert, wozu es zu einer Welle an Um- und Neubauten mit Stilelementen einer klassischen Burg kam. Ein aus der Rheinromantik entstandenes Exemplar ist die Drachenburg. Der Deutsch-Franzose Stephan von Sarter stammte aus einfachen Verhältnissen und kam durch Aktiengeschäfte an Geld. Um seinen neu errungenen Reichtum und sozialen Status nach außen zu präsentieren, ließ er sich die Drachenburg im Stil eines mittelalterlichen Schlosses erbauen. Die Architekten verzichteten dabei auf kein Element der Neogotik und Neorenaissance und versahen die Burg mit zahlreichen Spitzbögen, Türmchen und Erkern. Im Inneren war das Schloss jedoch hochmodern und verfügte über neueste Technik.
Reichstaggebäude Berlin
Auch eines der wichtigsten Gebäude der deutschen Gegenwart entstammt der Zeit der Historismus-Architektur. Nach der Gründung des Deutschen Reichs setzte sich der Architekt Paul Wallot mit seinem Entwurf durch und wurde 1884 mit dem Bau eines Parlaments beauftragt. Für die Zeit des strengen Historismus typisch wurde die Fassade des Parlamentsgebäudes im Stil der Neorenaissance gestaltet. Da der Bau aber erst 1894 fertiggestellt wurde, lässt er sich mit seinen neobarocken Elementen auch in die Phase des Späthistorismus einordnen. Ab den 1890er Jahren löste sich die strenge Zuordnung der Stile wieder auf und ging bereits in den Jugendstil über. Eine Besonderheit des Parlaments war die damals hochmoderne Kuppel, welche aus einer Glas- und Stahlkonstruktion gebildet wurde. Nach der Fertigstellung erntete die Erscheinung des Gebäudes viel Kritik, da der Mix der Stile als durcheinander bewertet wurde. Auch heute noch wird die Vermischung unterschiedlicher Elemente der Historismus-Architektur kritisiert.