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Plattenbauten in Berlin-Marzahn
In Marzahl gibt es Platten so weit das Auge reicht. © Jana Gioia Baurmann

Good morning, Marzahn: Aufzug-Radios im Plattenbau

Sie transportieren Menschen, Möbel und Mountainbikes: Fahrstühle sind für das Leben im Plattenbau unverzichtbar. Fährt es sich schöner mit musikalischer Untermalung? Eine Reportage aus der Märkischen Allee in Berlin-Marzahn von Jana Gioia Baurmann.

Die Marzahnerin, die in den Aufzug steigt, in jeder Hand eine Einkaufstüte, ist froh, dass ihre Schwester gerade auf Hiddensee Urlaub macht. Dann hat sie nämlich einen Grund, länger zu fahren, die Schwester wohnt im 17. Stock. Die Frau mit den Einkaufstüten muss die Post leeren, die Blumen gießen, lüften. „Da hab’ ich was von“, sagt sie, deren Wohnung im Vierten ist. Was sie meint: Sie kann die Lieder im Radio länger hören. Und wenn sie kurz vor der vollen Stunde fährt, bekommt sie mehr von dem mit, was in der Welt passiert ist. Vielleicht sogar, wie sich die bei der WM gestern Abend angestellt haben.

Es geht um Berlins einziges Aufzugsradio. Seit Februar beschallt es vier Fahrstühle in zwei Plattenbauten in der Märkischen ­Allee 280 und 282, ein Haus ist 18 Stockwerke hoch, das andere 21. Die Lautsprecher sitzen klein und weiß oben in der Ecke, direkt neben der Überwachungs­kamera mit der schützenden Käseglocke darüber. Das Radio läuft 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, immer derselbe Sender.

Marzahn, das ist Platte

„Wissen Se, wenn ein cooles Lied kommt, fahre ich manchmal so lange, bis es zu Ende ist“, gibt die Frau mit den Einkaufstüten zu. „Cool“, das Wort hätte man von ihr nicht erwartet. 52 Sekunden braucht man von ganz unten bis ganz oben. Um „Abracadabra“ von der Steve Miller Band in voller Länge zu hören, muss die Frau mit den Tüten vier Mal fahren. 3,34 Minuten dauert der Nummer-eins-Hit von 1982.

Man habe die Hochhäuser noch attraktiver machen wollen, heißt es in der Pressemitteilung der Wohnungsbaugesellschaft, die zum Start des Aufzugsradios veröffentlicht wurde. „Es soll den positiven ersten Eindruck, den Mieter, Besucher und Wohnungsinteressenten bekommen, unterstützen und verstärken.“

Marzahn, das ist Platte. Zusammen mit Hellersdorf ist Marzahn Deutschlands größte Siedlung im industriell gefertigten Wohnungsbau. Der Bezirk besteht hauptsächlich aus Turmbauten, gewaltige Betonblöcke, vor denen man den Kopf in den Nacken legen muss, um bis ganz nach oben gucken zu können. Fahrstühle gehören in dieser Welt dazu, ohne sie geht es hier nicht. Während man in anderen Bezirken die Stufen nimmt, lernen in Marzahn schon die Kinder, welche die beiden wichtigsten Knöpfe im Leben sind: EG und die Nummer des eigenen Stockwerks.

Radiolautsprecher im Marzahner Fahrstuhl____
Radiolautsprecher im Marzahner Fahrstuhl © Jana Gioia Baurmann

Die Fahrstühle sind so funktional wie die Plattenbauten selbst. Keine Panoramafenster, keine verspiegelte Decke, nicht mal eine Haltestange auf Hüfthöhe. Sie sind einfach nur silbern, matt silbern, der Boden ist entweder aus genopptem Gummi oder geriffeltem Stahl. Eine nackte Kabine, die Menschen, Möbel und Mountainbikes befördert, die Ziffern auf der Digitalanzeige leuchten rot. Nun soll diese Fahrt „Spaß machen“ – auch so ein Satz aus der Pressemitteilung.
Mehr als 500 Menschen leben in der Märkischen Allee 280 und 282, in Marzahn-Hellersdorf sind es fast 250.000. Immer mehr Kinder und Jugendliche bis 15 Jahre, genauso wie immer mehr ältere Menschen ab 55. Die Frau mit den Einkaufstüten ist ganz sicher 55 plus.

Der Mann, der bis ganz nach oben will, 18. Stock, ist laut Statistik eine Ausnahme, weil er um die 30 ist. Er gehört zu den­jenigen, die Marzahn mehr bräuchte. „Die spielen nur so ’ne Altenmusik, Country und Schlager und so. Ich find das echt schlimm.“ Der junge Mann trägt ein rotes T-Shirt und große, weiße Kopf­hörer. „Wenn du da morgens in den ­Aufzug steigst, haste direkt schlechte Laune.“ Abends, wenn er von der Arbeit nach ­Hause kommt, läuft der „Ohrenbär“. ­Geschichten für „kleine Leute“, in denen es um Pfannkuchen und Sommerferien geht, um Zauberstäbe und Plüschmäuse. Später, zwischen 22 und 0 Uhr, kommen die „besten Hits“ und „kleine Balladen für die richtige Zu-Bett-geh-Stimmung“. Der junge Mann ist froh, seinen iPod zu haben.

Aufzugsradio verdrängt die Einsamkeit

Ob er nun hinhört oder nicht, bezahlen muss jeder Anwohner. Kosten für Einbau, Strom und GEZ würden auf die Mieter umgelegt, sagt er. Das habe er gelesen. „Ich zahle das nicht, das können die vergessen! Ich höre eh nur meine Musik.“
Ein wenig ist es so, als wollte man der alten Generation ein Gefühl dafür geben, wie sich die Jungen fühlen, diejenigen, die permanent Stöpsel in den Ohren haben oder Kopfhörer darüber. Sie haben immer Unterhaltung – gar nicht schlecht in einem riesenhaften Plattenbau. Aufzugsradio verdrängt die Stille und damit die Einsamkeit, die sich selten so aufdrängt wie in einer Fahrstuhlkabine. Da können die Klassiker der 70er und 80er am besten helfen.

Im Erdgeschoss wird ein Kinderwagen in den Aufzug geschoben, den Griff hält ein stolzer Großvater. Ein Baby, Tomaten, Zucchini und fünf Flaschen Sonnenblumenöl fahren mit ihm hinauf in den zehnten Stock. „Nachrichten zu hören ist interessant“, sagt der Großvater. Man weiß in diesem Moment nicht, ob er das so sagt, weil er meint, das so sagen zu müssen. Zu Hause hören sie kein Radio, weil seine Frau kein Deutsch versteht. Außerdem laufe immer der Fernseher, für die Kinder, türkische Programme. „Beides geht nicht“, sagt der Großvater und lacht.

In Marzahn-Hellersdorf leben nicht mal 30.000 Menschen mit Migrationshintergrund, das entspricht zwölf Prozent der Bevölkerung. In Mitte sind es 46 Prozent.

Manfred Messerschmidt im Hochhaus in der Märkischen Allee.____
Manfred Messerschmidt zog 1983 als fünfter Mieter ins Hochhaus in der Märkischen Allee. © Jana Gioia Baurmann

Manfred Messerschmidt zog 1983 als fünfter Mieter ins Hochhaus in der Märkischen Allee.

Als Manfred Messerschmidt in den fünften Stock zog, 1983, hieß die Märkische Allee noch Heinrich-Rau-Straße, benannt nach dem ehemaligen Maschinenbauminister der DDR. Die Stockwerke, die vor Kurzem gelb gestrichen worden sind, waren damals tapeziert, „’ne janz einfache Tapete war dit“, sagt Messerschmidt. An den Decken summten Neonröhren.

Messerschmidt mag das Radio. „Zu Hause höre ich den Sender auch immer“, sagt er. Messerschmidt und seine Frau waren die fünften Mieter der insgesamt fast 300 Wohnungen, das erzählt er nicht ohne Stolz. Vorher hatte das Paar in Friedrichshain gelebt, die kommunale Wohnungs­verwaltung wies ihnen dann die Platte ­Nummer 282 zu, Wohnung 0505, 47,5 Quadratmeter, im ersten Jahr lief ­alles übers Notstromaggregat, 1984 kam der Telefonanschluss. Als die Mauer gefallen war, wollten viele nicht mehr in der Platte leben. Immer mehr Menschen zogen weg, von 1990 bis 2002 verloren die Plattenbau­siedlungen im Berliner Osten mehr als ein Viertel ihrer Bevölkerung. Rund 11.500 Wohnungen standen leer.

Der Mann mit Glatze und Jutebeutel, der jetzt aus dem zwölften Stock runterfährt, wohnt seit 2001 hierher. Ein schönes Fleckchen, findet er, nur manchmal etwas laut. Die sechsspurige Märkische Allee zum Beispiel. Besonders im Sommer hört er die Motorradfahrer durch das gekippte Fens­ter, die auf den 7,5 Kilometern noch einmal extra Gas geben. Und die Jugendlichen, die in der Begegnungsstätte unter seinem Fens­ter Partys feiern. Wegen ihnen rief er schon mehrmals die Polizei.

„Die einen finden’s zu laut, die anderen zu leise“

Und jetzt auch noch das Radio! „Die Hausordnung sieht vor, dass ab 20 Uhr Ruhe ist“, sagt er. „Aber wenn der Fahrstuhl auf meinem Stock stehen bleibt und die Türen offen sind, muss ich mir die ganze Zeit das Gequatsche anhören…“ Er ist dafür, das Radio abzuschaffen – oder zumindest eine Zeitschaltuhr einzubauen.

„Die einen finden’s zu laut, die anderen zu leise“, sagt einer der Hausmeister, den das Klingelschild Concierge nennt. In der Mittagspause sitzt der Concierge im Erd­geschoss vor blauem Himmel mit weißen Schönwetterwolken. Die Lautstärke fürs Radio hat er eingestellt, zusammen mit einem von der Wohnungsbaugesellschaft. Ganz oben, im Maschinenraum, der über dem 18. Stock liegt. Dort befindet sich der Radioknopf.

Doch egal, ob laut oder leise, „man redet weniger“, sagt ein Mann mit kariertem Hemd. Die anderen im Aufzug sagen dazu nichts. Sie heben nicht mal den Kopf.


Erschienen am 29.07.2014 im Stadtmagazin
zitty Berlin. Die Fotos stammen von der Autorin Jana Gioia Baurmann.

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