
Overtourism: Die Schattenseiten des Tourismus
Wer reist, erweitert seinen Horizont, taucht in andere Kulturen ein und unterstützt die bereisten Regionen finanziell. Soweit die Idee. Doch für viele Gegenden ist Tourismus keine Bereicherung – sondern eine Belastung.
„Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet.“ Mit diesem Satz fasst der Dichter Hans-Magnus Enzensberger das Phänomen des Overtourism schon ganz gut zusammen. Der englische Begriff beschreibt nämlich die Überlastung von Regionen, Städten und Naturlandschaften durch zu viele Touristen.
Dass Reisen der Umwelt schadet, ist kein Geheimnis: Acht bis elf Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen werden laut World Travel & Tourism Council vom Tourismus verursacht. Der Großteil davon entfällt auf An- und Abreise. Je länger die Strecke, desto mehr CO₂ wird ausgestoßen. Wer den Mount Everest besteigen will und seine Reise in Deutschland startet, muss sich also wohl oder übel mit einem negativen ökologischen Fußabdruck abfinden. Und das ist noch nicht alles.
Bergsteigen hat seinen Preis: Overtourism auf dem Mount Everest
Nicht nur die Anreise zum Mount Everest ist für Touristen teuer, sie müssen auch die Gebühren für eine Genehmigung zahlen, die sie für den Berganstieg benötigen. Das sind inzwischen immerhin 15.000 Euro. Obwohl die Besteigung lediglich zwischen April und Juli möglich ist, stürmen jedes Jahr immer noch rund 1.000 Besucher den Gipfel. Insgesamt tummeln sich jährlich bis zu 40.000 Bergsteiger im Himalaya und verursachen mit ihren Hinterlassenschaften immense Schäden.

Die höchste Müllkippe der Welt – so nennen Umweltschützer den Himalaya. Kaputte Zelte, Bierdosen und Sauerstoffflaschen – alles mögliche wird auf dem höchsten Berg der Welt zurückgelassen. Die Regierung in Nepal erfand daher den Müllpfand: Wer den Mount Everest hinaufsteigen will, zahlt 4000 Dollar und muss beim Abstieg acht Kilo Müll ins Basislager bringen. So viel produziert jeder Bergsteiger pro Expedition. Das Geld wird erst zurückerstattet, wenn der gesamte Müll wieder im Tal ist. Ein Versuch, das Gebirge vor Overtourism und seinen Folgen zu schützen.
Auch private Initiativen folgen diesem Impuls. Sie rufen zu sogenannten Clean Up Trecks auf. Teilnehmende können sich mit der Aufräumaktion für die Umwelt engagieren und sparen an Gebühren für ihren Aufstieg.
Mehr Touristen als Einwohner: Venedig leidet unter Overtourism
Was haben der Himalaya und Venedig gemeinsam? Beide Reiseziele ächzen unter dem hohen Besucheransturm – und versuchen, dem Einhalt zu gebieten. Venedig beherbergt jährlich geschätzt 15 Millionen Gäste. Das sind rund 80.000 Touristen, die sich durch die Gassen, Kirchen und Paläste schieben – pro Tag. Besonders absurd wirkt diese Zahl, wenn man sich vor Augen führt, dass Venedig nur etwa 50.000 permanente Einwohner hat.
Ein besonders großes Problem waren lange Zeit die mehr als 600 Kreuzfahrtschiffe, die jedes Jahr in der Lagunenstadt ihre Anker warfen. Schwimmende Hochhäuser, die bis zu 50.000 Touristen an einem Wochenende in die Gassen und auf die Plätze spuckten. Die Megaschiffe führten auch zum ökologischen Gau: Ein Kreuzfahrtschiff stößt etwa so viel Abgase aus wie 15.000 PKWs. Sie zerstörten nicht nur das Ökosystem der Lagunenstadt, sondern auch ihre Fundamente.

Um Venedig vor den Folgen des Massentourismus zu schützen, hat die Stadt verschiedene Maßnahmen ergriffen: Seit 2021 dürfen Kreuzfahrtschiffe von einer Länge über 180 Metern nicht mehr in die Lagune einfahren. Auch Reiseführer mit Gruppen von mehr als 25 Personen sind in der Stadt der 100 Inseln verboten.
Für Individualtouristen gibt es inzwischen ebenfalls Einschränkungen. Besucher zahlen zehn Euro Eintritt pro Tag. Entrichtet wird die Gebühr über ein Online-Portal. Wer ohne einen gültigen QR-Code auf dem Handy erwischt wird, muss mit einer Strafe von bis zu 300 Euro rechnen.
Maßnahmen zur Bekämpfung von Overtourism: Besucherströme lenken
Wer Sehenswürdigkeiten besuchen, oder Attraktionen entdecken will, fürchtet vor allem eins: lange Wartezeiten. Eine Idee, die sowohl für touristische Gegenden als auch die Besucher Vorteile bringen soll, ist die Lenkung von Besucherströmen mithilfe von Apps oder anderen Online-Diensten. Indem die Gäste Time-Slots für die Besichtigungen buchen müssen, verringern sich sowohl die Wartezeit der Gäste als auch die Touristendichte an den Attraktionen.
Manche Webseiten, etwa die von Venedig, veröffentlichen Daten über Wartezeiten vor den Sehenswürdigkeiten in Echtzeit. Touristen erfahren so, wann sie sich die Attraktion ohne lange Wartezeit ansehen können. Online gebuchte Zeitfenster können auch an ein Preissystem gekoppelt werden: Besucher zahlen zu besonders beliebten Zeiten mehr Eintritt und können selbst entscheiden, wann und zu welchem Preis sie sich etwas anschauen möchten.
Overtourism stoppen: Den Zugang begrenzen
Touristen stehen auf Orte, die sie aus Film oder Fernsehen kennen. Die Maya Beach Bay in Thailand – bekannt aus „The Beach“ mit Leonardo Di Caprio – wurde von den Massen so sehr gebeutelt, dass sie nun auf der „UNESCO Danger List“ steht. Inzwischen wird der Strand phasenweise geschlossen und die Aufenthaltsdauer für Touristen begrenzt.

Die kroatische Hafenstadt Dubrovnik kämpft seit „Game of Thrones“ mit mehr als 10.000 Besuchern pro Tag. Künftig dürfen nur noch ein paar tausend Gäste in das historische Zentrum. Die Stadt kontrolliert die Zutritte mittels Datatracking und Kameras.
Einheimische wehren sich gegen Overtourism
In Spanien – etwa auf den Kanarischen Inseln oder den Balearen – gehen die Menschen inzwischen auf die Straße und demonstrieren gegen den Massentourismus. Schließlich profitiert nur ein Teil der Einheimischen von den Besuchern, die häufig nicht nur ein paar Tage bleiben, sondern gar Monate oder länger.

So treiben sie Mieten und Lebenshaltungskosten in die Höhe, die Menschen vor Ort haben das Nachsehen. Mit Steuererhöhungen für die Gäste und Steuervergünstigungen für die Einheimischen ließe sich der Entwicklung etwas entgegensetzen.
Sanfter Tourismus: Das Reiseverhalten ändern
Nachhaltiger oder sanfter Tourismus will den ökologischen Fußabdruck einer Urlaubsreise so klein wie möglich halten. Das fängt schon bei der Wahl des Reiseziels an. Ideal sind Destinationen, die sich mit Bus, Bahn oder Fahrrad erreichen lassen.
Bei der Wahl einer individuellen Unterkunft – Pension, Ferienhaus oder Ferienwohnung können sich Besucher so versorgen, dass auch Einheimische profitieren. Wer auf Märkten und in lokalen Geschäften einkauft, unterstützt die Region. Strom zu sparen, wieder verwertbare Trinkflaschen oder Container zu nutzen – all das schützt das Ökosystem.
Regeneratives Reisen: Die Natur genießen und gleichzeitig schützen
Einen Schritt weiter geht das Regenerative Reisen. Dabei geht es nicht nur darum, weniger zu schaden, sondern aktiv in die Erholung von Ökosystemen einzugreifen, positiv auf kulturelle Identitäten und Orte einzugehen. Es werden, konkrete, messbare Beiträge zur ökologischen und sozialen Situation beigesteuert. Was können Urlauber während eines Aufenthaltes tun, um bestehende Schäden zu beseitigen und vor Ort einen Mehrwert zu schaffen?

Auf geführten Ökotourismus-Expeditionen des Earthwatch Instituts können Traveller an Naturschutzprojekten teilnehmen. BUND-Reisende haben zum Beispiel die Möglichkeit, im Urlaub aktiv Naturschutz zu betreiben. Etwa, indem sie an Aufforstungsprojekten, Landschaftspflege und Artenschutz teilnehmen. Solche Aktivitäten kommen nicht nur den Reisezielen zugute. Teilnehmende profitieren ebenfalls, indem sie nachhaltig wirkende Erlebnisse mit nach Hause nehmen.