Schwimmende Gärten: (G)Artenvielfalt und Landwirtschaft auf dem Wasser
Sie stellen Schutzgebiete für Tiere und Pflanzen dar – aber können sie auch die herkömmliche Landwirtschaft revolutionieren? Sicher ist, dass schwimmende Gärten ein großes Zukunftspotential besitzen. An diesen Orten sind sie heute schon im Einsatz.
Neuer Trend und uralte Tradition zugleich: Schwimmende Gärten werden gerade wiederentdeckt. Welche Funktionen sie erfüllen, hängt jedoch maßgeblich von ihrem Einsatzort ab. Während sie in Illinois dem Erhalt der Artenvielfalt nutzen, sichern sie in Bangladesch das Überleben von zahlreichen Bauern und deren Familien. Wir stellen die zwei unterschiedlichen Ansätze vor.
Artenvielfalt in der Stadt: „Wild Mile“ im Chicago River
Entlang des Chicago Rivers entstand im Jahr 2022 eine Weltneuheit: der erste schwimmende Ökopark der Welt. Die „Wild Mile“ ist ein Projekt der gemeinnützigen Organisation „Urban Rivers“. Sie verfolgt das Ziel, städtische Wasserwege in Schutzgebiete für Wildtiere umzuwandeln. Wie funktioniert das?
Dass unsere Städte grüner werden müssen, gehört mittlerweile wohl zum Allgemeinwissen. Denn Bäume und Grünflächen verbessern das Klima, erhöhen die Luftqualität, können die Temperatur abkühlen und sorgen insgesamt dafür, dass sich Menschen in der Stadt wohler fühlen. In Illinois wird entlang des 251 Kilometer langen Chicago River ein neuer Versuch, Städte zu begrünen, erprobt: schwimmende Gärten. Das Projekt verfolgt allerdings nicht nur das Ziel, mehr Pflanzen in das Stadtbild zu integrieren, sondern stellt die Tierwelt in den Fokus.
Nah am Ufer des Chicago Rivers hat die Organisation „Urban Rivers“ in einem industriell genutzten Abschnitt in Lincoln Park zahlreiche schwimmenden Stege mit Pflanzen angelegt, die ein natürliches Feuchtgebiets-Ökosystem nachahmen. Das künstliche angelegte Schutzgebiet besteht aus umweltfreundlichen Materialien, ist für Besucher begehbar und soll einheimischen und verdrängten Tier- und Pflanzenarten ein Zuhause bieten – zum Beispiel Bibern. Das Wurzelsystem ist darüber hinaus ein wichtiger Lebensraum für Fische und dient zugleich als Wasserfilter, denn die Pflanzen haben die Fähigkeit, Schadstoffe zu binden.
Besonders praktisch: Weil die „Wild Mile“ sowohl auf dem Flussboden als auch auf dem Deich verankert ist, kann sie sich bei wechselndem Wasserstand auf und ab bewegen. So ist sie auch bei Überschwemmungen des Flusses geschützt und wird nicht weggeschwemmt. Wie wichtig der Erhalt von einheimischen Tier- und Pflanzenarten ist und wie die „Wild Mile“ dabei helfen kann, erklären Freiwillige von „Urban Rivers“ regelmäßig in Exkursionen und Workshops.
Landwirtschaft auf dem Wasser: Schwimmende Bete für die Erntesicherung
Schwimmende Gärten können aber auch noch eine andere Funktion erfüllen. Sie lassen sich nämlich landwirtschaftlich bewirten – sodass man auf ihnen beispielsweise Gemüse anbauen kann. Auf diese Anbaumethode wird besonders in Teilen Asiens derzeit vermehrt gesetzt. Der Grund dafür ist das Voranschreiten der Klimakrise.
In Bangladesch wurde es für lokale Kleinbauern in den letzten Jahren immer schwieriger, landwirtschaftliche Erträge zu erzielen. Der steigende Meeresspiegel und Extremwetterlagen, die Überschwemmungen erzeugt haben, setzen dem südasiatischen Land zu. Denn Bangladesch ist von vielen Flüssen durchzogen und liegt zudem nur wenige Meter über dem Meeresspiegel. Bis 2050 wird es einer Schätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge etwa 18 Prozent seiner Landfläche verlieren.
Das Wasser macht es heimischen Landwirten teilweise unmöglich, Lebensmittel auf dem Acker anzubauen. Die Überflutungen sind so stark, dass Bangladesch bis zu zehn Monate pro Jahr unter Wasser steht. Deswegen mussten die Bauern kreativ werden – und greifen auf die jahrhundertealte Tradition der Hydrokultur zurück.
Wetterumschwünge gefährden die Bete
Schwimmende Inseln, die etwa aus Wasserhyazinthen und Reisstroh sowie Kuhdung und Schlamm bestehen, dienen als fruchtbare Bete. Auf ihnen lassen sich verschiedene Obst- und Gemüsesorten anbauen – ganz ohne Erde. Im Gegensatz zu den schwimmenden Gärten im Chicago River sind diese Bete allerdings nicht im Boden verankert. Deshalb sind sie weniger vor Wetterumschwüngen geschützt und können bei hohem Wellengang und starken Regenfällen beschädigt werden.
Nicht nur die Instandhaltung, sondern auch die Herstellung der schwimmenden Farmen stellt für örtliche Landwirte eine Herausforderung dar. Die Bete startklar für den Anbau zu machen, kann bis zu drei Monate dauern und die Vorbereitung der Setzlinge ist ebenfalls mit einem großen Arbeitsaufwand verbunden.
Schwimmende Gärten: Revolution der herkömmlichen Landwirtschaft?
Trotz dieser Schwierigkeiten planen die Bauern, die schwimmenden Bete noch zu vergrößern. Nicht nur in Bangladesch, sondern zum Beispiel auch in Kaschmir, Myanmar und Mandalay. Die Not, die der steigende Meeresspiegel und die durch die Klimakrise verursachten Wetterextreme erzeugen, ist so groß, dass die schwimmenden Gärten für viele Bauern die beste Option darstellen, ihre Erträge zu sichern – und sich und ihre Familien weiterhin zu ernähren.
In Ländern, die nicht von Überschwemmungen betroffen sind, werden schwimmende Gärten wohl keine Revolution der herkömmlichen Landwirtschaft bewirken. Stattdessen können sie eine Art und Weise sein, mehr Grün in die Städte zu bringen und die lokale Artenvielfalt zu erhalten.