Traditionelle Architektur: Das Schwarzwaldhaus als Erfolgsmodell
Wer nachhaltig bauen will, muss das Rad – oder besser gesagt die Haustür – nicht neu erfinden. Das Schwarzwaldhaus zeigt, was wir von traditioneller Architektur lernen können.
Ob Kirschtorte, Schinken oder Kuckucksuhr: Traditionelle Produkte aus dem Schwarzwald sind weit über seine Grenzen hinaus bekannt. Auch das Schwarzwaldhaus zählt zu den Ikonen der Region und ist wohl eines der beliebtesten Fotomotive für Touristen. Anders als die oben genannten Exportschlager, ist die typische Bauweise aber auch heute noch ausschließlich im Südwesten Deutschlands zu finden – und das hat seine Gründe: Das Schwarzwaldhaus ist nahezu perfekt an seine Umgebung angepasst.
Der Schwarzwald: Ein besonderer Standort
Im Schwarzwald eine sichere Behausung zu schaffen, ist gar nicht so leicht. Hanglagen, große Schneemengen und starke Windbelastungen sind nur einige der Herausforderungen, mit denen man vor Ort konfrontiert ist. Das Schwarzwaldhaus hat diese in den letzten Jahrhunderten aber exzellent gemeistert. Einige Exemplare sind heute über 400 Jahre alt und zeigen die Langlebigkeit des Baustils – eine Eigenschaft, die wir uns auch von modernen Gebäuden wünschen.
Es gibt verschiedene Typen von Schwarzwaldhäusern, die unter anderem an die Lage am Hang oder im Tal angepasst sind. Die grundsätzlichen Eigenschaften, die zu ihrem außerordentlichen Stehvermögen beitragen, haben sie jedoch alle gemein. Das typische Walmdach zum Beispiel, eine Dachform, bei der alle vier Dachseiten schräg abgehen. Ganz gleich, ob sie mit Stroh oder Schindeln abgedeckt sind, dem Wind bieten sie so kaum eine Angriffsfläche. Speziell beim Schwarzwaldhaus kommt noch hinzu, dass das Dach fast bis zum Boden reicht. Das hat mehrere Vorteile: Im Sommer schützt es vor zu starker Sonneneinstrahlung und damit vor Hitze, während es die tiefer stehende Sonne im Winter hereinlässt, die dann das Haus aufwärmen kann. Gleichzeitig schafft es die Möglichkeit, sich auch bei hohen Schneemengen frei um das Haus herum bewegen zu können – zumindest bis zu einem gewissen Maße. Getragen wird das Dach traditionell von einer Firstsäule, die vom Boden durch alle Stockwerke führt und die wichtigste Stütze der Konstruktion bildet.
Das Schwarzwaldhaus: Mixed-use-Gebäude der alten Schule
Das Schwarzwaldhaus verfügt in der Regel über genau vier Stockwerke. Ursprünglich war es nämlich keineswegs nur zum Wohnen gedacht. Ebenso wie es viele Mixed-use-Gebäude in modernen Großstädten anstreben, vereinte das Schwarzwaldhaus nahezu alles, was seine Bewohner zum Leben brauchten unter einem Dach – auch wenn das damals selbstverständlich andere Dinge waren. So folgte dem Keller, der als kühler Lagerraum genutzt wurde, ein zweites Stockwerk, in dem sowohl Wohnbereich und Küche als auch der Viehstall Platz fanden. Ganz richtig, die Nutztiere wurden im Haus gehalten. Dort waren sie nicht nur vor äußeren Einflüssen geschützt, sondern trugen im Winter auch dazu bei, das Haus zu erwärmen.
Hauptsächlich erfüllte diese Aufgabe aber der typische Kachelofen in Wohnbereich bzw. Küche, von dessen Wärme auch die Schlafplätze im 3. Stock ausreichend abbekamen. Es gab damals übrigens keinen Schornstein, wie wir ihn heute kennen. Der Rauch vom offenen Feuer wurde lediglich in einer sogenannten Rauchfurt aufgefangen und zog von dort aus durch die Ritzen ab. Die verrauchte Küche diente deshalb gleichzeitig als Räucherkammer. Wirklich gesund klingt das aus heutiger Sicht zwar nicht, aber immerhin half der Rauch auch gegen Feuchtigkeit und Ungeziefer. Über dem Schlafbereich im 3. Stock lagerte direkt unter dem Dach des Schwarzwaldhauses Heu, das im Winter an die Tiere verfüttert wurde.
Nachhaltig gebaut mit regionalen Materialien
Im Inneren von Schwarzwaldhäusern sieht es mittlerweile anders aus. Die ursprüngliche Ausstattung ist einem höheren Wohnkomfort gewichen. Wohl kaum ein Haus beinhaltet heute noch einen Stall, geschweige denn eine Feuerstelle ohne Kamin. Doch das Grundgerüst ist noch dasselbe – errichtet aus regionalen Ressourcen, allen voran Holz. Als Firstsäule zum Beispiel wurde häufig der massive Stamm einer heimischen Weißtanne verwendet. Ob sich die Bauherren von damals bewusst waren, wie klimafreundlich sie ihre Häuser bauten? Zumindest in Sachen ökologischer Nachhaltigkeit sind sie modernen Häusern, die hauptsächlich aus Stahl, Beton und Glas bestehen, einige Schritte voraus.
Das Schwarzwaldhaus als gutes Vorbild?
Zwischen der Hochphase des Schwarzwaldhauses und heute ist viel Zeit vergangen. Der Gebäudesektor ist mittlerweile für 37 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich und trägt damit entscheidend zum Klimawandel bei. Damit sich daran etwas ändert, müssen Gebäudeplaner umdenken. Nachhaltigkeit, Funktionalität und Langlebigkeit rücken immer mehr in den Fokus. Das Schwarzwaldhaus zeigt, wie sich diese Eigenschaften vereinen lassen könnten. Auf der Suche nach Innovationen lohnt sich also durchaus mal ein Blick zurück auf traditionelle Architektur-Konzepte.