Warum ein Strohballenhaus als Haus des Jahres 2023 ausgezeichnet wurde
Stroh, Lehm und Holz, mehr braucht es nicht, um aus einem Doppelhaus ein Energiespar-Wunder zu machen. Wir stellen das Haus des Jahres 2023 vor.
Warum liegt hier nirgendwo Stroh? Diese Frage stellt sich allen, die das Haus des Jahres 2023 das erste Mal sehen. Als Strohballenhaus hat das von den Architekten Florian Kaiser und Guobin Shen entworfene Doppelhaus den Preis gewonnen, den der Architekturverlag Callwey seit 2011 vergibt. Von außen sieht man jedoch nur Betonstützen und Holz, viel Holz. Die beiden oberen Geschosse sind komplett damit verkleidet.
Wer Stroh sucht, muss hinter die Fassade blicken.
Die Geschichte des Strohballenhauses in Pfaffenhofen
Das Strohballenhaus liegt im Zentrum des beschaulichen Dorfes Pfaffenhofen, auf halber Strecke zwischen Stuttgart und Heidelberg. Eigentümer und Bauherr ist ein Energieberater – ein Beruf, der zu einem besonders energiesparenden Eigenheim verpflichtet.
In seinem Arbeitsalltag fragte sich der Mann oft, warum heutzutage meist Stoffe wie Styropor oder Mineralwolle zum Dämmen verwendet werden, aber kein Stroh? Dabei hat das in Kombination mit einem Putz aus Lehm eine lange Tradition. Mit seinem Haus wollte er die alte Kunst wiederbeleben und den Beweis antreten, dass Stroh auch heute noch ein toller Dämmstoff ist, und zwar nicht nur für die vier Außenwände, sondern auch für Dach und Bodenplatte.
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Vorteile und Nachteile eines Strohballenhauses
Als Baustoff hat Stroh viele Vorteile: Das Abfallprodukt aus der Landwirtschaft ist günstig, steht in großen Mengen zur Verfügung und wächst jederzeit nach. Zudem kann es überall quasi vor der Haustür angebaut werden.
Durch die Fähigkeit, Feuchtigkeit aufzunehmen und wieder abzugeben, sorgt es für ein angenehmes Raumklima. Und falls die Tochter Schlagzeug lernen möchte, erfreuen sich die Nachbarn auch daran, dass Stroh einen guten Schallschutz zu bietet. Wenn das Gebäude irgendwann seinen Dienst getan hat, ist das Recycling der biologisch abbaubaren Strohdämmung ebenfalls unproblematisch.
Bei so vielen positiven Aspekten drängt sich die Frage auf, warum nicht überall und ständig mit Stroh gedämmt wird? Es liegt an dem einen Nachteil: Es darf nicht nass werden und schimmeln.
Schimmel oder Feuer: Keine Gefahr für das Strohballenhaus
Beim Haus des Jahres 2023 haben die Architekten das Problem mit einem riesigen Beton-Kreuz gelöst. Dieses bildet das Erdgeschoss des Strohballenhauses in Pfaffenhofen und kann als Garage, Werkstatt oder Wintergarten genutzt werden. Der Eigentümer hat in einem der vier Quader eine kleine, allerdings nicht mit Stroh gedämmte Einliegerwohnung einrichten lassen.
Das eigentliche Haus mit seinen zwei Stockwerken in Holzbauweise liegt darauf auf. Die Strohballen als Dämmung wurden mit einer Dicke von 36,5 Zentimetern in die Holzkonstruktion gedrückt und mit einer Heckenschere gestutzt. Dann folgte das Verputzen mit einer fünf Zentimeter dicken Lehmschicht. Diese ist die Brandschutzversicherung der Bewohner. Einem Feuer hält die Wand 90 Minuten Stand.
So lebt es sich im Strohballenhaus nicht nur naturnah und ökologisch, sondern auch sicher.
Familienfreundlich: Das Haus des Jahres 2023 wächst mit
Die Rückbesinnung auf alte Tugenden endet nicht bei den Baustoffen. Auch bei der Raumaufteilung ließen sich die Architekten von der Geschichte inspirieren, und zwar von Mehrfamilienhäusern der Gründerzeit.
Damals war es üblich, mehrere vergleichbar große Räume zu haben, die nach Bedarf als Wohnzimmer, Schlafzimmer oder Küche genutzt werden konnten. Diese Flexibilität bietet sich nun auch den Bewohnern des Strohballenhauses mit ihren vier gleich großen Räumen pro Etage. In den klassischen Neubauten mit ihren bewusst klein gehaltenen Kinderzimmern oder Schlauchküchen ist so ein Zimmertausch schwer möglich.
Zudem lassen sich im Haus des Jahres 2023 die Wohnungen leicht teilen. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, müssen die Eltern nicht gleich umziehen, sondern können einen Teil ihres Wohnraums vermieten. Platz ist auf den 360 Quadratmetern Wohnfläche für zwölf Personen, in unterschiedlichen Konstellationen.
So energieeffizient ist das Haus des Jahres 2023
Natürlich hat der Energieberater als Bauherr nicht bei Strohballendämmung und Lehmputz Halt gemacht. Sein Stroballenhaus verfügt auch über Solarzellen und Wärmepumpe und erreicht so Effizienzhaus-Plus-Standard. I
Im direkten Vergleich mit einer klassisch gedämmten Doppelhaushälfte gleicher Größe spart das Gebäude 95 Prozent an CO₂ ein – und nicht nur das: Das Holz, das für den Bau verwendet wurde, speichert zudem noch rund 100 Tonnen des klimaschädlichen Gases.
Günstig, sicher und nachhaltig: Dass die Jury das Strohballenhaus in Pfaffenhofen als Haus des Jahres 2023 ausgezeichnet hat, ist durchaus nachvollziehbar – Gründe für die Wahl gab es jedenfalls einige.