DDR-Plattenbau: Mit der Platte gegen die Wohnungsnot
Einst bekannt für Wachstum, modernes Wohnen und lebhafte Siedlungen ist der DDR-Plattenbau in Verruf geraten. Können wir in Zeiten von Wohnungsmangel und steigenden Mieten auch etwas vom seriellen Wohnungsbau lernen?
Massenbesichtigungen, unbeantwortete Bewerbungen und horrende Preise: Der Wohnraum in Deutschland ist knapp und teuer. Auch nach dem zweiten Weltkrieg herrschte Wohnungsnot. Es mussten viele Wohnungen zu niedrigen Preisen her. Die DDR fand darauf eine Antwort: die Großtafelbauweise, besser bekannt als DDR-Plattenbau.
Der Beginn der Platte
Deutschland lag nach dem Krieg in Schutt und Asche. Die übrig gebliebenen Häuser waren von der Zerstörung gezeichnet und boten nicht genügend Platz für alle. In der DDR hatte der Wohnungsbau also oberste Priorität. Zunächst versuchte die Regierung Häuser in klassischer Bauweise weiterzubauen, was aber zu viel Zeit, Geld und Ressourcen in Anspruch nahm. Auf der Suche nach alternativen Bauweisen entstand 1953 mit einem Wohnblock in Johannistal bei Berlin der erste Versuch der Plattenbauweise in der DDR. Einige Jahre später wurde in Hoyerswerda sogar eine ganze Experimentierstadt aus Plattenbauten für Arbeiter des nahegelegenen Kohlewerks aus dem Nichts erschaffen. Diese Siedlung hat damit das Fundament für den DDR-Plattenbau der nächsten 40 Jahre gelegt. Denn die Großtafelbauweise erwies sich als sehr effizient: Die Platten konnten industriell vorgebaut und seriell hergestellt werden. Dadurch wurden Zeit, Arbeitskraft und Ressourcen gespart. Im Vordergrund stand dabei anders als bei den detailreichen Bauten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Rationalität, für Individualismus war wenig Platz. Der DDR-Plattenbau war ästhetisch die perfekte Fassade für das kommunistische Regime.
DDR-Plattenbau: „Jedem eine eigene Wohnung"
1972 beschloss die SED ihr Wohnungsbauprogramm, welches den Bau von 3 Millionen Wohnungen bis 1990 vorsah. Damit war die Zukunft des DDR-Plattenbaus unter dem Motto „Jedem eine eigene Wohnung“ besiegelt. Im Akkord wurden ganze Siedlungen mit den modularen Betonplatten aus dem Boden gestampft. Der beliebteste Typ war die Wohnungsbauserie WBS70, die etwa 42 Prozent des gesamten Plattenbaus in der DDR ausmachte. Sie bestand aus besonders wenigen Bauteilen und war stark standardisiert. Die 3-Raum-Wohnung der WBS70 war mit 60 bis 66 Quadratmetern für eine Kleinfamilie konzipiert.
Mit ihrer modernen Ausstattung und den günstigen Mieten war die Platte in der DDR sehr beliebt. Auch die Aussicht auf lebendige Siedlungen mit Kindergärten, Schulen, Spielplätzen und Kaufhallen war ausschlaggebend für den dem DDR-Plattenbau-Boom.
Günstig Wohnen auf Kosten des Staats
Nicht alle kamen aber in den Genuss einer neuen Wohnung in der Platte. Da es in der DDR keinen freien Wohnungsmarkt gab, war der Staat für die Verteilung des Wohnraums zuständig. Dabei wurden Familien und Arbeiter bevorzugt, auch Kontakte spielten eine Rolle. Die Nachfrage war nach wie vor deutlich höher als das, was der Staat leisten konnte. Ein großer Faktor für die Beliebtheit des DDR-Plattenbaus war außerdem die geringe Miete: Maximal 1,20 DDR-Mark Warmmiete pro Quadratmeter mussten Mieter für ihre Wohnung zahlen, da die Kosten stark vom Staat subventioniert wurden. Durch die geringen Mieten konnten die Bewirtschaftungskosten der Wohnungen nur zu einem Drittel gedeckt werden und der Wohnungsbau wurde auf Dauer zu teuer für den Staat. Folglich wurden Ende der 70er Jahre die „Sonderbauten“ aus dem Wohnungsbauprogramm gestrichen, also Kindergärten, Schulen, Kauf- oder Schwimmhallen. Auch die Instandhaltung der Wohnungen wurde zunehmend schwierig: 1990 waren 42 Prozent der Wohnungen sanierungsbedürftig. Grund dafür waren auch die gesenkten Standards beim Bau der Platten, da so Materialkosten gespart werden sollten. Somit verwandelte sich der DDR-Plattenbau noch vor der Wiedervereinigung in ein Sorgenkind der Regierung.
Das Ende der Platte?
Obwohl lediglich zwei Millionen Neubauwohnungen bis zur Wende fertiggestellt wurden, konnte der DDR-Plattenbau als Erfolg angesehen werden – zumindest im Osten. 1990 lebte gut ein Drittel aller DDR-Bürger im Plattenbau. Nach der Wiedervereinigung gerieten die Plattensiedlungen allerdings zunehmend in Verruf. Immer mehr Menschen zogen in den Westen, immer weniger kamen nach. Zwischen 1991 und 2023 sank die Zahl der Einwohner der neuen Bundesländer von 14 Millionen auf 12 Millionen. Daraus resultierte Leerstand, Verfall und schließlich der Abriss vieler DDR-Plattenbauten. Die verbliebenen Plattensiedlungen gelten als soziale Brennpunkte: Gewalt, Drogen und Dreck wird ihnen nachgesagt. Wenig ist übrig vom Traum der Platte aus den 70er Jahren. Nach der Wende wurde das Geld eher in den Abriss der Plattenbauten gesteckt, anstatt sich um eine Wiederbelebung der Siedlungen zu bemühen. In Zeiten von Wohnungsnot und steigenden Mieten stellt sich aber die Frage, ob der DDR-Plattenbau mit modernen Konzepten erneut zu attraktivem Wohnraum werden könnte.
Plattenbau: Die Zukunft der nachhaltigen Bauindustrie?
Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist seit Jahren angespannt. Die Preise für Einfamilienhäuser explodieren und Wohnungen in Großstädten sind nur über Kontakte oder eine ordentliche Portion Glück zu bekommen. Auch die Baubranche ist durch die Krisen der letzten Jahre gebeutelt. Das Material ist oft teuer und – ähnlich wie in der DDR – nur limitiert verfügbar. Hinzu kommt in Bezug auf Nachhaltigkeit die Notwendigkeit von ressourcenschonenden Baumaterialien. Aus einer ähnlichen Situation heraus entstand der DDR-Plattenbau.
Tatsächlich ist modulares Bauen mit seriellen Elementen wie beim Plattenbau eine ressourcensparende und schnelle Baumethode. Dadurch, dass die einzelnen Elemente industriell gefertigt werden, kann die Effizienz der Nutzung der Baumaterialien genau berechnet werden und zu einem ressourcenschonenderen Bau beitragen. Somit kann nicht nur klimafreundlich, sondern auch schnell gebaut werden.
Das Potential serieller Fertigteile im Hausbau haben auch Start-Ups für sich entdeckt. Das Unternehmen Nokera entwickelt serielle Bauelemente aus Holz, die nach dem Lego-Prinzip zu Häusern kombiniert werden können. Auch genormte Bauteile aus bereits abgerissenen Plattenwohnungen können beim Bau mit Fertigteilen recycelt werden. Durch die Verwendung unterschiedlicher Materialien und kombinierbarer Elemente wird der Plattenbau außerdem individualisiert, indem Balkone, Erker oder Terrassen hinzugefügt werden können.
Die Renaissance der Platte
Die DDR-Plattenbauten müssen aber nicht immer durch neue Gebäude ersetzt werden. Am nachhaltigsten ist schließlich mit dem zu bauen, was schon da ist. Viele Städte hübschen Plattensiedlungen auf, indem Wände entfernt und Wohnungen zusammengelegt werden, um einem modernen, großzügigen Grundriss zu entsprechen. Auch optisch werden die Wohnungen mit neuen Balkonen, farblichen Akzenten und einer grünen Umgebung aufgewertet. Durch die Sanierung der Plattenbauten sollen die Siedlungen attraktiver für eine sozial diverse Mieterschaft werden und die in vielen Städten zu beobachtende Segregation zwischen Einfamilienhäusern und Plattenbauanlagen auflösen. Damit der DDR-Plattenbau auf Dauer seine Stigmatisierung als prekäre Wohngegend verliert, ist neben der Wohnung selbst eine Mischung aus Einfamilien- und Mehrfamilienhäusern, Grünflächen, Freizeitangeboten und guter Infrastruktur innerhalb der Siedlung essenziell. Dabei geht es nicht darum, die Plattenbauten in Luxuswohnungen für Reiche zu verwandeln, sondern die „Ghettoisierung“ der Anlagen zu verhindern und ein Wohngebiet für alle Einkommensklassen zu schaffen.