Tigernest-Kloster: Spiritualität und Legenden in luftiger Höhe
Auf 3.120 Metern Höhe, im Himalaya Gebirge, befindet sich ein Gebäude, das wie ein Schwalbennest an den Felsen zu kleben scheint: das Tigernest-Kloster. Das legendäre Wahrzeichen des südasiatischen Bhutan fasziniert Touristen – und stellt sie zugleich vor große Hürden.
Die Sonne geht langsam auf, die Berge sind noch in Wolken gehüllt, eine mystische Stimmung umgibt die Landschaft. Auf den von Moos bewachsenen Felsen wird schließlich ein Gebäude sichtbar, goldene Dächer mit kunstvollen Spitzen drängen sich durch den Nebel, bunte Gebetsfahnen flattern im Wind. Hier oben, fernab der Zivilisation und 3.120 Meter über dem Meeresspiegel, ist die Heimat des Wahrzeichens Bhutans. Was hat es mit dem sagenumwobenen Tigernest-Kloster auf sich?
Zwischen Sage und Wahrheit: Die Entstehung des Tigernest-Klosters
Der buddhistische Guru Rinpoche Padmasambhava floh auf dem Rücken einer Tigerin ins bhutanische Paro-Tal in den Bergen. Dort meditierte er drei Monate lang, bekehrte die Stadt zum Buddhismus, zähmte die dort zuvor herrschenden Dämonen und zwang sie dazu, ein Kloster zu erbauen – so oder so ähnlich hat sich die Entstehung des Tigernest-Klosters der Legende nach zugetragen. Zumindest den Namen hat Kloster dieser Geschichte zu verdanken und bis heute behalten. Taktshang, wie es international genannt wird, ist tibetisch und bedeutet wörtlich übersetzt "Tigers Versteck".
Auch wenn wir der Legende keinen Glauben schenken, stellt uns das Kloster heute vor ein Rätsel. Wie ist es gelungen, das imposante Gebäude in die Felsen hineinzubauen? Diese Frage bleibt vielleicht bis heute ungelöst. Als sicher gilt jedoch, dass die Erbauung des Klosters von Shabdrung Ngawang Namgyel, dem Gründer von Bhutan, in Auftrag gegeben wurde. Seine Fertigstellung im Jahr 1692 erlebte er jedoch nicht mehr.
Architektur der Klosteranlage
Senkrecht auf den steilen Felswänden stehen vier Haupttempel und mehrere Wohngebäude – sie bilden zusammen die Anlage des Tigernest-Klosters. Sie sind durch Holzbrücken sowie schmale Wege und gewundene Treppen miteinander verbunden. Die verschachtelte Architektur der Klosteranlage wird durch die goldenen Dächer mit verzierten Spitzen und farbenfrohe Gebetsmühlen, die von den Mönchen per Hand angetrieben werden, ergänzt.
Obwohl es innerhalb des Klosters mehrfach Brände gab – ausgelöst von Butterlampen, die das Kloster beleuchten – blieben die Großteile der Anlage bis heute unbeschadet. Das größte Feuer brach im Jahr 1998 im Hauptgebäude aus, die Restaurierung der beschädigten Stellen dauerte bis 2005 an.
In luftigen Höhen: Wie Besucher das Tigernest-Kloster erreichen
Nicht nur buddhistische Mönche und Pilger besuchen die acht heiligen Höhlen in den Bergen und die prunkvolle Klosteranlage – auch zahlreiche Touristen nehmen den langen Anstieg für einen Besuch in Kauf. Öffentliche Verkehrsmittel kommen für die Anfahrt nämlich nicht in Frage. Die 800 Höhenmeter müssen Besucher bei einem dreistündigen Fußmarsch zurücklegen. Für die Anstrengungen des Weges werden sie aber mit einer atemberaubenden Aussicht auf die umliegenden Berge und Täler belohnt. Auf einem Teil der Strecke werden auch Pferde und Maulesel eingesetzt, um Besuchern den Anstieg zu erleichtern.
Bhutan: Exklusiver Tourismus im Himalaya
Die körperliche Anstrengung ist allerdings nicht die einzige Hürde, die Besucher des Klosters überwinden müssen. Denn Bhutan, das südasiatische Land, in dem das Tigernest-Kloster liegt, versucht aktiv, Massentourismus zu verhindern und seine Ursprünglichkeit zu bewahren. Bis in die 1960er Jahre war das Land zwischen den hohen Gipfeln des Himalayas noch nahezu völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Das hat sich mittlerweile zwar verändert, die Regierung bemüht sich aber weiterhin darum, die Traditionen des Landes und die Schönheit der umliegenden Natur zu erhalten – und setzt dafür hohe Preise an.
Vor Beginn der Corona-Pandemie konnten Reisende Bhutan nur betreten, wenn sie eine vollständig organisierte Rundreise gebucht hatten, die mindestens 250 US-Dollar pro Person pro Tag kostete. Das hatte allerdings – bestärkt durch die Auswirkungen der Pandemie – zur Folge, dass der Tourismus zu weit zurückging. Die Regierung hat das Tagesbudget deshalb auf 100 US-Dollar pro Tag hinabgesetzt. Urlaub im "Land des Donnerdrachen" zu machen, bleibt dennoch exklusiv. Bhutan bewahrt seine Naturschätze und Kulturgüter – und bleibt eine kostbare Oase inmitten des majestätischen Himalaya-Gebirges.