Was den Klang in der Elbphilharmonie so einmalig macht
Die Hamburger Elbphilharmonie sorgt seit fünf Jahren mit ihrer scharfen, transparenten Akustik für Begeisterung, schafft gleichzeitig aber auch Herausforderungen. Wie kommt dieser einmalige Klang zustande?
„Als wir mit „Silent Songs (Into the Wild)“ im Januar 2018 in der Hamburger Elbphilharmonie gastierten, war das Haus exakt ein Jahr alt – und fühlte sich noch immer sehr neu an“, erinnert sich die Regisseurin Nicola Hümpel, die mit Nico and the Navigators eine der renommiertesten deutschen Musiktheaterensembles leitet. Der Konzertsaal vermittelte nicht nur ein gutes Gefühl, sondern setzte künstlerische Impulse: „Tatsächlich wurde auch unser Stück durch den frischen Raum noch einmal verändert. Das lag vor allem an der ungewohnten Schärfe des Klangs, mit der man sehr behutsam umgehen muss – vor allem, wenn die Aufführung wie in unserem Fall mit viel Bewegung verbunden ist.“
„Im Kleinen Saal der Elbphilharmonie werden selbst Nebengeräusche verstärkt, die andere Orte einfach absorbieren. Mit dieser Überakustik mussten wir uns erst einmal arrangieren – aber am Ende sorgte die Atmosphäre dann für einen tollen Abend, den wir mit voller Kraft spielen konnten.“
Gleicher Klang für alle
Eines der primären Ziele bei der Planung der Elbphilharmonie lautete, allen Besucher:innen den gleichen Klanggenuss zu bieten. Bei einer Kapazität von 2100 Plätzen im Großen Saal klingt dies nach einem ambitionierten Ziel. In einem ersten Schritt realisierte es das Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron mittels der Anordnung der Sitzplätze. Diese folgt dem sogenannten Weinberg-Prinzip, das erstmalig beim Bau der Berliner Philharmonie Anfang der 1960er-Jahre realisiert wurde.
Die Bühne befindet sich dabei in der Mitte des Saals, die Zuschauerreihen werden darum terrassenartig nach oben gezogen. „Bei uns sitzt niemand weiter als 30 Meter entfernt von der Dirigentin oder dem Dirigenten“, betont Martin Andris, Pressesprecher der Elbphilharmonie. Dies erzeugt Intimität und hebt zugleich die Hierarchie bei den Zuschauerplätzen auf.
Jedoch bewirkt dieses Raumkonzept auch Herausforderungen, die in der Vergangenheit nicht existierten: Konzertsäle schienen stets dem sogenannten Schuhschachtel-Prinzip zu folgen. Dabei handelt es sich um einen langgezogenen Quader mit der Bühne am etwas schmaleren Ende, wie beispielsweise die Concertgebouw in Amsterdam oder die Symphony Hall in Boston. Die um 1900 entstandenen Häuser gelten nach wie vor als Referenzgrößen, wenn es um ein außergewöhnliches Klangerlebnis geht. Die Dynamik entsteht in erster Linie durch die Reflexion des Schalls der Seitenwände.
Bei der Akustik wird nichts dem Zufall überlassen
Wie wichtig dies ist, verdeutlicht folgende Zahl: Lediglich fünf Prozent des Schalls, der die Ohren der Zuschauer erreicht, kommt unmittelbar von der Bühne. Der Rest wird mindestens einmal von einer Wand reflektiert. Doch das akustische Erlebnis hat für Zuschauende in den letzten Reihen seinen Preis: Die Mitglieder des Orchesters sind kaum noch zu erkennen. Dies verhält sich in modernen Konzertsälen wie der Elbphilharmonie vollkommen anders.
»Im Kleinen Saal der Elbphilharmonie werden selbst Nebengeräusche verstärkt, die andere Orte einfach absorbieren.«
Dass hier auch den Eindruck des außergewöhnlichen Klangs Kunstschaffende, Publikum und Kritik gleichermaßen teilen, basiert auf einer akribischen Planung. Donald Hall, promovierter Physiker, Berufsmusiker und Hochschullehrer, betonte in einem seiner Essays, dass ein akustisches Raumkonzept gleichermaßen Kunst und Ingenieurswissenschaft sei. Damit verbindet man in erster Linie einen Namen: Yasuhisa Toyota. Der 70-jährige Akustiker gestaltete mehr als 50 weltweit bedeutende Konzertsäle, darunter die Suntory Hall in Tokio (1986), die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles (2003), das Konzerthaus Kopenhagen (2009), den Berliner Pierre Boulez Saal (2017) und zuletzt die Isarphilharmonie in München (2021).
Schuppenhaut und Deckenreflektor sorgen in der Elbphilharmonie für optimalen Klang
Für die Elbphilharmonie entwarf Toyota mit seinem Team eine Wand- und Deckenverkleidung, die aus über 10.000 individuell gefrästen, schuppenartigen Gipsfaserplatten besteht, von denen jede wiederum knapp 70 Kilogramm wiegt. Herzstück ist ein an der Decke befestigter, riesiger Reflektor. Die gesamte Konstruktion des großen Saals erhielt den Spitznamen „weiße Haut“: „Das ist ein spektakuläres Design und dient zugleich der bestmöglichen Akustik.“, stellt Martin Andris klar.
Die Platten fungieren ebenso als Reflektoren, die den optimalen Hörgenuss ermöglichen. Die Anordnung wurde auf den Millimeter genau von Computeralgorithmen errechnet. Doch allein darauf ist kein Verlass. Toyota simulierte die Bedingungen des geplanten Konzertsaals in einem Hamburger Speicher im Maßstab von 1:10 und nahm über mehrere Monate hinweg an den unterschiedlichen Positionen im Raum Mikrofonmessungen vor.
Kunstschaffende sind begeistert vom Klang der Elbphilharmonie
Das Ergebnis versetzt Kunstschaffende in Euphorie: „Meine Liebe zur Elbphilharmonie ist grenzenlos“, schwärmt Star-Violinistin Anne-Sophie Mutter. Der britische Komponist George Benjamin hebt hervor: „Die Mischung aus leuchtenden Klangfarben und extremer Transparenz ist ideal für moderne Musik.“ Regisseurin Nicola Hümpel würdigt die Eindrücke ihres Gastspiels wie folgt: „Dass dieses Haus technisch bestens ausgestattet ist, versteht sich ja von selbst. Dass es aber durch seine Herausforderung zum Umdenken auch inspirieren kann, erkennt man erst bei der Arbeit vor Ort.“