Künstliche Intelligenz in der Justiz – digitale Gerichtsdiener
Urteil: Lebenslänglich. Verhängt durch eine Künstliche Intelligenz (KI). Eine Horrorvorstellung, von der wir weit entfernt sind – auch wenn KI in der Justiz bereits zum Einsatz kommt.
Akten, Akten, Akten – die Papierberge in der Justiz sind bereits seit Jahrzehnten ein Symbol dafür, was Prozesse vor Gericht kompliziert macht und in die Länge zieht. Mit Einführung der elektronischen Akte in Deutschland bis 2026 wird das Papier in den kommenden Jahren weniger, doch die Datenmengen bleiben. Wenn sie elektronisch vorliegen, lassen sie den Einsatz einer neuen Art Gerichtsdiener zu: einer künstlichen Intelligenz. Diese selbstlernenden Computeralgorithmen können riesige Mengen Daten erfassen, auswerten und einteilen.
KI in der Justiz im Einsatz
Vereinzelt passiert das bereits. Und zwar dort, wo die E-Akte bereits weit fortgeschritten ist. So setzt etwa das Oberlandesgericht Stuttgart eine KI ein. Im Zuge des Dieselskandals in der Automobilbranche sind dort mehr als 13.000 Verfahren anhängig, zu denen Klageschriften mit oft mehr als 100 Seiten gehören. Die Künstliche Intelligenz hilft dabei, die Klageschriften dem passenden Verfahren zuzuordnen.
Auch in anderen Zivilverfahren testet die Justiz in Baden-Württemberg bereits den Einsatz von KI. So gibt es am Landgericht Hechingen ein Pilotprojekt mit „Codey“. Dabei handelt es sich um eine Software, die darauf ausgelegt ist, Dokumente zu strukturieren. Sie geht zum Beispiel Anwaltsschriftsätze durch und kann Argumente erfassen und der jeweiligen Prozessseite zuordnen. Richterinnen und Richter bekommen dank dieser Unterstützung einen schnelleren Überblick – insbesondere, wenn sie von einem Kollegen einen Fall übernehmen.
Assistenten, nicht Entscheider
In beiden Beispielen dient KI in der Justiz als Helfer. Von Seiten der Politik und Gerichten wird immer wieder betont, dass alle Entscheidungen von menschlichen Richtern getroffen werden.
Das gilt auch für das vielleicht bislang ambitionierteste Projekt in der deutschen Justiz. „Smart Sentencing“ soll helfen, die Strafmaße in Deutschland gerechter zu machen. Hintergrund: eine Auswertung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht hatte ergeben, dass Gerichte Straftaten regional sehr unterschiedlich bewerten und das gesetzliche Strafmaß sehr unterschiedlich ausschöpfen. Ziel von „Smart Sentencing“ ist es, diese Unterschiede transparent zu machen, Richter darauf zu stoßen, damit das Gefälle abgebaut wird. Allerdings ist die Datengrundlage für viele Delikte noch schmal, sodass das Projekt der Universität zu Köln und des Fraunhofer Instituts für Intelligente Analyse- und Informationssysteme derzeit nur langsam vorankommt.
Ethische Überlegungen bei KI in der Justiz
Damit sind wir bei einem Grundproblem von KI. Auf welchen Daten beruhen ihre Empfehlungen? Und wie kommt eine KI zu ihren Ergebnissen? Wie ist der lernende Algorithmus programmiert? All diese Fragen sollten geklärt sein, bevor KI in der Justiz zum Einsatz kommt.
In den USA kam es vor wenigen Jahren zu einer Kontroverse um die KI „COMPAS“, die berechnet, wie wahrscheinlich es ist, dass Straftäter rückfällig werden. Kritiker werfen ihr jedoch Diskriminierung vor und verweisen darauf, dass die KI Vorurteile reproduziere. Grund dafür könnte sein, dass in den USA Menschen dunklerer Hautfarbe überproportional häufig zu Gefängnisstrafen verurteilt werden und die KI daher auch von einer entsprechend hohen Rückfallquote ausgeht.
Hier zeigt sich, wie wichtig die Ausgangsdatenlage für die Qualität einer KI ist. In der Deutschen Justiz wird sie frühestens mit der E-Akte so groß sein, dass sie sich für größere Einsatzgebiete eignet. Derzeit steckt sie noch in den Kinderschuhen.