Stadtforscher Peter Payer zum Auf und Ab in Wien
Der österreichische Historiker und Stadtforscher Peter Payer hat sich auf die Spur der Aufzüge in Wien begeben. Herausgekommen ist dabei ein 224 Seiten starkes Werk mit rund 150 Abbildungen, das einen faszinierende Einblicke in die technische, gesellschaftliche und städtebauliche Bedeutung des Aufzugs liefert. Senkrechtstarter hat den Autoren zum Gespräch gebeten.
Senkrechtstarter: Herr Payer, wie müssen wir uns Wien vor der steilen Karriere des Aufzugs vorstellen?
Peter Payer: Im Grunde so, wie andere Metropolen des 19. Jahrhunderts auch, etwa Paris oder London. Nur eben nicht ganz so groß. Die Besiedelung zu diesem Punkt der Geschichte war deutlich niedriger und weniger dicht. Der große Urbanisierungsschub Ende des 19. Jahrhunderts stand ja noch aus. Man ist zu Fuß gegangen. In den Häusern gab es lediglich Treppen zur Überwindung von Höhen. Daraus ergab sich eine spezifische soziale Schichtung.
Je höher man wohnte, desto ärmer war man in der Regel. Die Beletage im ersten Obergeschoss war den Wohlhabenden vorbehalten. Die Dienstboten wohnten im Dachgeschoss. Entsprechend gab es auch verschiedene Treppenformen, den Dienstbotenaufgang wie das repräsentative Treppenhaus. So gingen sich die sozialen Schichten aus dem Weg.
Senkrechtstarter: Und danach?
Peter Payer: Setzte langsam eine Umschichtung der Stadtgesellschaft ein. Es dauerte zwar eine ganze Weile, aber mit der Zeit verlor die Beletage an Bedeutung. Das Penthouse entstand. Weit oben, mit Zugang zu mehr Licht und Luft zu wohnen, wurde zu einer Prestigefrage. Allerdings verschwanden nach und nach auch die verschiedenen Treppenhäuser.
Die sozialen Schichten begegneten sich nun in der engen Aufzugskabine. Dafür mussten zunächst noch neue soziale Konventionen entwickelt werden. Wie verhalte ich mich? Wohin schaue ich, damit ich niemanden störe und mich selbst nicht gestört fühle? Das war ein ganz parallele Entwicklung, wie sie immer bei der Einführung eines neuen Verkehrsmittels geschieht.
Senkrechtstarter: Verkehrsmittel?
Peter Payer: Ja, wie das Automobil oder die Eisenbahn revolutionierte der Aufzug seinerzeit den Transport. Nur eben in der Vertikalen. Und wie das Auto hat auch der Aufzug seine Spuren im Stadtbild hinterlassen. Allerdings subtiler. Wurden für die autogerechte Stadt mancherorts ganze Häuserzeilen abgerissen, zeichnet sich die fahrstuhlgerechte Stadt vor allem durch Verdichtung und höhere Gebäude aus. Und es hat eine ganze Weile gedauert, bis die Auswirkungen dieser Revolution im Stadtbild zu erkennen waren. Der erste Wiener Fahrstuhl wurde bereits 1869 installiert, zum Standard wurde er jedoch erst rund 100 Jahre später.
Hotels als Innovationstreiber
Senkrechtstarter: Wo wurde denn der erste in Wien installiert?
Peter Payer: Im Palais von Johann von Liebig in der Wippingerstraße. Es war damals noch ein hydraulisch betriebenes Modell. Das Gebäude ist heute leider nicht mehr erhalten. Und wir wissen auch nicht sehr viel darüber, wie er auf die Idee kam. Installiert hat ihn allerdings Anton Freissler, ein Wiener Unternehmer und innovativer Geist, dessen Aufzugsfirma lange Jahre auch international erfolgreich war. Er hatte den hydraulischen Aufzug 1867 bei der Weltausstellung in Paris kennengelernt und beschloss, selbst welche zu bauen. Mit Erfolg.
Senkrechtstarter: Zu Beginn war der Aufzug also ein Luxusobjekt. Wann und warum wurde er dann zum Massenbeförderungsmittel?
Peter Payer: Das erste Modell fand sich in der Tat im aristokratischen Milieu und war ein reines Luxusobjekt, von dessen Existenz nur eingeweihte wussten. Doch schon bald darauf begann ein Popularisierungsschub, der seinen Anfang in den Grand Hotels der Stadt nahm. Bereits 1870 installierte das Grand Hotel in der mondänen Ringstraße 78 den zweiten Fahrstuhl der Stadt. Und viele weitere Häuser folgten alsbald.
Hotels haben zu dieser Zeit generell eine große Rolle bei der Adaption technischer Innovationen gespielt. Und die Bequemlichkeit und der Komfort, den Aufzüge bieten, wurden schnell zur Prestigefrage für die lokale Hotellerie. Zudem konnten sich die Menschen bei der Weltausstellung in Wien (1873) und der Kaiser-Franz-Jubiläumausstellung (1898) selbst ein Bild vom Aufzug machen. Auch das hat seine Popularisierung natürlich vorangetrieben.
Chauffeur für den vertikalen Transport
Senkrechtstarter: Wie verlief die weitere Entwicklung?
Peter Payer: Schleppend. Die Zahl der Fahrstühle nahm erst um die Jahrhundertwende, mit dem Aufkommen elektrischer Aufzüge spürbar zu. Und erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Aufzug wirklich zum Standard. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen waren sie anfangs in der Anschaffung und im Unterhalt teuer, so dass sie sich nur eine kaufkräftige Klientel leisten konnte.
Man muss bedenken, dass zu jener Zeit zu jedem Fahrstuhl auch ein Fahrstuhlführer gehörte. Der musste natürlich bezahlt werden – und über das notwendige technische Knowhow verfügen. Zudem war der Fokus des "Roten Wiens" in den Jahren vor und zwischen den Weltkriegen ein anderer. Es ging darum, schnell und günstig Wohnraum zu schaffen, um die Not zu lindern. Da wären Luxusobjekte wie Fahrstühle nicht zu vermitteln gewesen. Außerdem brauchte es auch eine Weile, bis die Architekten warm mit der neuen Technik wurden.
Ein bekehrter Baumeister
Senkrechtstarter: Warum das?
Peter Payer: Sie müssen sich vorstellen, dass die Baumeister bis dahin die vollständige Deutungshoheit hatten, wie ein Entrée oder ein Treppenhaus auszusehen hatte. Nun mussten sie sich diese Aufgabe mit den Ingenieuren teilen. Das hat nicht jedem gefallen. Ein prominentes Beispiel dafür ist Otto Wagner, der Fahrstühle zu Beginn rundheraus abgelehnt hatte. Allerdings war er auch Modernist und musste einsehen, dass sich deren Siegeszug nicht aufhalten ließ. Und hat letztlich die schönsten Jugenstil-Aufzüge der Stadt entworfen, die zum Teil auch heute noch vorhanden sind. Außerdem darf man nicht vergessen: Die Stadt ist ein träges Gebilde, in der sich Veränderungen in der Substanz erst mit der Zeit herausbilden. Es braucht ja Zeit, bis ein neues Gebäude geplant, finanziert und schließlich gebaut wird. So setzen sich manche Entwicklungen zwangsläufig erst mit einer gewissen Verzögerung durch.
Senkrechtstarter: In Wien sollen noch rund 250 Aufzüge in Betrieb sein, die älter als 100 Jahre sind. Wo in der Stadt kann man noch Aufzugsgeschichte selbst "erfahren"?
Peter Payer: Das ist Teil des Problems und auch einer der Gründe, warum ich das Buch geschrieben habe. Die Aufzüge sind zum großen Teil nicht öffentlich zugänglich und deshalb auch kaum im öffentlichen Bewusstsein präsent. Daher sollen die Bilder in meinem Buch sie ins Bewusstsein rufen und eine Debatte darüber anstoßen, wie wir diese verborgenen industrie- und kunstgeschichtlichen Denkmäler schützen und erhalten können. Wer sich einmal selbst ein Bild machen möchte, sollte das ehemalige Geschäftshaus Braun & Co in der Wiener Innenstadt besuchen. Inzwischen residiert hier eine große Textilhandelskette. Der Aufzug jedoch ist stilgerecht saniert mit wunderschöner Holzkabine und Messingbeschlägen.
Wien ist Welthauptstadt der Paternoster
Senkrechtstarter: Ist Ihnen bei Ihren Recherchen ein Aufzug besonders ans Herz gewachsen?
Peter Payer: Die Aufzüge von Otto Wagner sind schon etwas Besonderes, da sie die ästhetische Hochblüte des Aufzugs zeigen. Nur sind sie meist nicht öffentlich zugänglich. Mit ein wenig Glück kann man den Portier im Hochhaus in der Herrengasse dazu überreden, einmal mit den Aufzügen dort fahren zu dürfen. Sie stammen aus den 1930er-Jahren und besitzen trotz technischer Überarbeitungen noch viel von dem Flair der Zeit. Das Gebäude ist das erste moderne Hochhaus der Stadt. Ansonsten wären natürlich die Paternoster zu nennen. Mit dem weltweit dienstältesten Modell von 1910 im Haus der Industrie darf sich Wien wohl die Paternoster-Hauptstadt nennen. Und auch das Modell von 1918 im Wiener Rathaus ist sehr sehenswert!
Senkrechtstarter: Herr Payer, wir bedanken uns für das Gespräch!
Peter Payers Buch "Auf und Ab. Eine Kulturgeschichte des Aufzugs in Wien", ist im Brandstätter Verlag erschienen und kostet 34,90 Euro.