Buchautor Stichweh: "Ohne Fahrstühle keine Hochhäuser"
Dirk Stichweh aus Bremen arbeitet als kaufmännischer Angestellter, doch die Leidenschaft für New Yorker Wolkenkratzer machte ihn auch zum Kunstbuchautor. Wir sprachen mit Stichweh über den Trend zum superschlanken Hochhaus und die Bedeutung von Aufzügen.
Herr Stichweh, Ihr Lieblingshochhaus ist das Chrysler Building, wie Sie uns schon verraten haben. Welche New Yorker Wolkenkratzer halten Sie aber für die wichtigsten?
Auch wenn es sich langweilig anhört: das Empire State Building und das One World Trade Center. Das Empire State Building ist der Inbegriff des Hochhauses überhaupt, eine Ikone. Da kann man nicht dran vorbeigehen. Es war 40 Jahre lang das höchste Gebäude der Welt - und ist nebenbei auch ganz gelungen in seiner Proportion. Das One World Trade Center steht für den Geist des Wiederaufbaus von Manhattan nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Ich könnte Ihnen aber auch das Seagram Building nennen, das Baugesetze verändert hat, oder das Woolworth Building. Es gibt so viele Gebäude, von denen ich sagen würde, dass sie wichtig sind.
Eine Ikone ist auch das Flatiron Building, das in seiner äußeren Form einem Bügeleisen ähnelt.
Es wird gerne als ältestes Hochhaus New Yorks bezeichnet, doch das ist es bei Weitem nicht. Es gab schon vorher Wolkenkratzer in der Stadt, und vor allem gab es auch schon höhere. Aber das Flatiron Building war das erste, das die Ausbreitung der Hochhausbebauung nach Midtown Manhattan zeigte. Bis dahin wurden nur an der Südspitze Wolkenkratzer gebaut.
»»Der Hochhausboom? Ein Ausdruck von Urbanität und wirtschaftlicher Stärke««
Heute ist New York die Stadt der Wolkenkratzer, doch die ersten Hochhäuser entstanden in den 1880er-Jahren in Chicago. Würde es Sie reizen, auch über diese Stadt zu schreiben?
Die ursprüngliche Idee war tatsächlich, je ein Buch über New York und Chicago zu machen – oder alternativ eins über beide Städte. Aber zum einen gibt es in New York mehr Gebäude mit einem hohen Bekanntheitsgrad, und zum anderen muss ich auch über die Geschichte und die wirtschaftliche Entwicklung einer Stadt ganz viel wissen, wenn ich ein Buch darüber schreibe. Man muss viel vor Ort gewesen sein und eine Stadt aus dem Effeff kennen. In Chicago war ich erst dreimal, also relativ selten.
Ich könnte dort zwar eine Stadtführung machen, kenne mich aber nicht so gut aus wie in New York, wo ich wirklich jede Ecke kenne. Außerdem ist Chicago in den letzten 20 Jahren wirklich langweilig, da ist wenig Neues dazugekommen. Ein paar moderne Gebäude, ein paar postmoderne, aber nicht viel. Da fehlt mir ein bisschen die Motivation.
Warum überhaupt ist gerade New York zur Hochhausstadt schlechthin geworden?
Zum einen war es schon 1898 hinter London die zweitgrößte Stadt des Planeten. Vor allem aber war New York nach dem Ersten Weltkrieg die Topfinanzmetropole der USA, wenn nicht der Welt. Natürlich wurden die Hochhäuser wegen der begrenzten Fläche und der hohen Immobilienpreise gebaut, außerdem war der Untergrund gut. Aber es war auch ein Ausdruck von Urbanität und wirtschaftlicher Stärke. Das spielte gerade in den späten 1920er-Jahren eine Rolle, als der große Bauboom kam. Noch heute spielt sich alles auf einem begrenzten Terrain ab, weil man in unmittelbarer Nähe zur Wall Street sein will. Das ist ganz klar auch eine Sache des Prestiges.
Glauben Sie, dass wir noch einmal eine Revolution im Hochhausbau erleben werden?
Wir befinden uns gerade in einer starken Entwicklung hin zum schlanken Apartment-Wolkenkratzer. Den gibt es erst seit der Jahrtausendwende, in der Postmoderne wurden noch größtenteils Bürogebäude gebaut. Ein über 400 Meter hohes Wohnhochhaus auf einer Grundstücksfläche von 20 mal 20 Metern zu bauen, wie es gerade an der 57. Straße passiert: Da wäre selbst vor 15 Jahren noch kein Mensch drauf gekommen.
Eine Tendenz ist auch, dass viele schmale Bürowolkenkratzer aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts umgebaut werden zu Apartment-Gebäuden: das Woolworth-Buildung etwa oder der Metropolitan Life Tower – beide mal die höchsten Gebäude der Welt. Der Markt ist da. Früher waren Downtown im Finanzdistrikt praktisch nur Bürogebäude. Abends und am Wochenende war es bis auf die Touristen menschenleer, mittlerweile gibt es da eine Wohnkultur.
»»Rendite für Apartment-Gebäude ist deutlich höher als für Bürogebäude««
Warum werden denn Bürogebäude zu Apartment-Wolkenkratzern umgebaut?
Weil sich ein schlanker Grundriss für Bürogebäude gar nicht lohnt. Und es gibt genug Leute mit dem nötigen Geld: Mittlerweile ist die dreistellige Millionengrenze für Wohnungen erreicht, der Kapitalismus blüht. Die Rendite für ein Apartment-Gebäude ist zurzeit deutlich höher als die für ein Bürogebäude. Außerdem braucht man für ein Wohngebäude weniger Aufzüge, in Bürogebäuden ist das gerade zu den Stoßzeiten ein Problem. Im neuen Apartment-Gebäude 432 Park Avenue sind vier Fahrstühle drin, im Bürohochhaus One World Trade Center über 70. Im alten World Trade Center* waren es sogar 98. Die brauchen natürlich Platz.
Sie haben das Thema Aufzüge angesprochen. Welche Rolle spielen sie beim Hochhausbau?
Eine ganz wichtige, auch heute noch. Und das wird immer so bleiben. So wie die Statik für eine Höhenbegrenzung sorgen kann, können es auch die Fahrstühle. Nicht nur die Erfindung des Stahlskelettbaus war entscheidend für Wolkenkratzer, sondern auch die des Aufzugs. Ohne Fahrstühle keine Hochhäuser. Aber es gibt Berechnungen, dass sich Gebäude mit über 80 Stockwerken aufgrund der Fahrstuhlsituation nicht mehr rechnen.
Beim World Trade Center hatte die Umgehung dieses Problems fatale Folgen...
Genau. Die alten Twin Towers waren 110 Stockwerke hoch, und sie sollten natürlich wirtschaftlich sein. Daraufhin wurden 1968, also in der Anfangsphase des Baus, die Baugesetze mitsamt der Brandvorschriften in New York gelockert. Beim World Trade Center hat man die Sky Lobbys eingeführt, eine Art Umsteigebahnhof. Wenn man in die obersten Etagen wollte, musste man zweimal umsteigen. 1983 kamen dann wieder schärfere Baugesetze, und mit ihnen wären die Twin Towers 2001 nicht eingestürzt. Die Leichtbauweise war sehr kritisch, man hatte unter anderem auf einen Feuerschacht verzichtet.
In der vergangenen Woche gab's den ersten Teil des Interviews.Darin sprach Stichweh unter anderem über den Ursprung seiner Buchidee und die Schwierigkeiten, auf private Hochhäuser zu gelangen. Dirk Stichweh: NY Skyscrapers. Über den Dächern von New York City. Mit Fotos von Jörg Machirus und Scott Murphy. 192 Seiten, 180 farbige Abbildungen. Verlag: Prestel. Verkaufspreis: 29,95 €.