"Brasilien holt den Titel": Statistik-Professor simuliert die WM
Welches Team hat hohe Gewinnquoten? Welches stürzt ab? Diese Fragen treiben nicht nur Fußballfans um, auch Statistiker. Achim Zeileis von der Universität Innsbruck hat sich ihnen wissenschaftlich genähert, er glaubt an einen Heimsieg bei der WM.
Achim Zeileis kennt den künftigen Weltmeister – zumindest wenn es nach Wahrscheinlichkeiten geht. Der Professor für Statistik an der Universtität Innsbruck vertraut mit Kollegen von der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) dem sogenannten Buchmacher-Konsensus-Modell. Seit 2008 kam es schon bei zwei Europameisterschaften und einer Weltmeisterschaft zum Einsatz, außerdem bei der Champions League und dem Tennisturnier von Wimbledon.
Ursprünglich bewerteten die Wissenschaftler für Banken die Ausfallrisiken von Großkunden, im Sport entdeckten sie eine ähnliche Situation: Experten, die Wahrscheinlichkeitsaussagen über die Zukunft treffen.
Ihre Studie zur WM 2014 behauptet: Mit 22,5-prozentiger Wahrscheinlichkeit holt Brasilien den Titel. Dahinter folgen als Favoriten Argentinien (15,8 Prozent), Deutschland (13,4) und das bereits ausgeschiedene Spanien (11,8).
„Nicht zurückblicken, sondern auf Experten verlassen“
Herr Zeileis, Sie als Statistiker sagen Brasilien als Weltmeister voraus. Wie kamen Sie zu Ihrer Prognose?
In unserer Studie gab es zwei Schritte. Zuerst haben wir für jedes der 32 teilnehmenden Teams die Wahrscheinlichkeit auf den Titelgewinn ausgerechnet. Dazu haben wir uns die Wettquoten der Buchmacher angeschaut. Die Idee dahinter: Nicht zurückzublicken auf vergangene Performances, die Qualifikation oder frühere Turniere. Sondern sich auf Experten zu verlassen, die vorausschauen und sich Erwartungen darüber bilden, was im Juni in Brasilien passieren wird.
Was macht die Vorhersagen der Buchmacher aus?
Sie müssen ihre Quoten so ansetzen, dass sie nicht zu niedrig sind, weil dann keiner bei ihnen wettet. Die Quoten dürfen aber auch nicht zu hoch sein, weil die Buchmacher dann nicht genug Geld verdienen. Wir haben die Wettquoten genommen und sie um die Gewinnmarge der Buchmacher bereinigt. Dann haben wir sie in Wahrscheinlichkeiten umgerechnet und gemittelt. Insgesamt haben wir 22 internationale Wettanbieter ausgewertet. Für Brasilien kam so eine Wahrscheinlichkeit auf den Titelgewinn von 22,5 Prozent heraus.
Sind sich die Wettanbieter denn einig?
Bei den starken Teams ist die Übereinstimmung relativ hoch, da lässt sich eine mittlere Meinung gut ablesen. Bei den schlechteren Teams ist die Variation ein bisschen höher.
„100.000 Wiederholungen in nur 15 Minuten“
Wie ging es in Ihrer Studie weiter?
Wir haben uns anschließend gefragt: Wie kann es zu diesen Ergebnissen kommen? Dafür haben wir eine Simulation eingesetzt. Wir hatten für jedes Team eine Spielstärke und konnten so für jede mögliche Paarung eine Gewinnwahrscheinlichkeit ausrechnen. Weil wir diese Wahrscheinlichkeiten hatten, konnten wir das Turnier absimulieren. Das haben wir wieder und wieder gemacht. Insgesamt waren es 100.000 Wiederholungen, bei uns dauerte das nur 15 Minuten. Wir konnten dann ablesen, wie häufig in diesen 100.000 Turnierverläufen Deutschland Weltmeister geworden, ins Finale oder zumindest Halbfinale gekommen ist.
Was ist der Vorteil dieser Simulation?
Sie bereinigt die Spielstärken um den Turnierverlauf. Denn es kann ja sein, dass ein sehr gutes Team, sagen wir Spanien, eine geringere Wahrscheinlichkeit hat, Weltmeister zu werden, weil es in einer starken Gruppe spielt und schon in der Vorrunde ausscheiden könnte – wie es ja tatsächlich auch geschehen ist.
„Kein Widerspruch zwischen Fan und Statistiker“
Sie haben schon drei Welt- und Europameisterschaften vorhergesagt. Erfolgreich?
Wir hatten bisher eine recht gute Quote mit der Vorhersage, wer ins Finale kommt und wer gewinnt. Bei der EM 2008 haben wir immerhin das richtige Finale vorhergesagt, in dem sich dann allerdings Spanien gegen Deutschland durchgesetzt hat. Für die WM 2010 und EM 2012 haben wir Spanien richtig als Gewinner vorhergesagt. Dass man den Weltmeister vorhersagt, ist die eine Sache, da kann man schnell danebenliegen, weil ein schlechter Tag das Aus im Achtel-, Viertel- oder Halbfinale bedeuten kann.
Für uns als Statistiker war noch spannend, wie gut die Wahrscheinlichkeiten gepasst haben, die wir vorhergesagt hatten. Dass manchmal auch unwahrscheinlichere Ereignisse eintreten, kann natürlich geschehen. Es passiert aber selten. Bei der letzten EM haben wir zum Beispiel erwartet, dass Deutschland Italien schlägt. Für die übrigen Viertelfinals, Halbfinals und das Finale haben wir aber den richtigen Sieger erwischt.
Hoffen Sie selbst auf ein spezielles Team – oder eher auf die Erfüllung Ihrer Prognosen?
Sollten sich Brasilien und Deutschland im Halbfinale begegnen, besteht eine knapp 60-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass Brasilien gewinnt – ich darf aber natürlich trotzdem Deutschland die Daumen drücken. Da gibt es für mich überhaupt keinen Widerspruch zwischen Fußballfan und Statistiker. Ich persönlich hoffe auf ein schönes WM-Turnier mit tollem Fußball und spannenden Spielen. Wenn hinterher unsere Prognosen gut gepasst haben, freue ich mich. Aber wenn eine Überraschungsmannschaft bis ins Finale durchmarschiert, finde ich das als Fußballfan auch eine tolle Sache.
Die Studie ist online als Working Paper einsehbar.